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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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konnten sie überhaupt zustande gekommen sein? Roach hatte auf das Wohlwollen seiner Vorgesetzten vertraut; er hatte gehofft, weiterhin eine schnelle Karriere zu machen.
    Der Capt’n ging zum Tisch zurück, faltete die beiden Schreiben, die er wieder zusammengelegt hatte, mit spitzen Fingern auseinander und zog das eine, an einer Ecke anfassend, hin und her, wie eine tote Maus am Schwanz.
    Von Ernennung war in diesem Schreiben nicht die Rede und Versetzung nur zur Agentur … wieder in der Stinkprärie bei den verfluchten Indianern …!
    Roach steckte die beiden Schreiben in den Umschlag zurück. Er mußte diesen sehr merkwürdigen Entscheidungen auf den Grund gehen. Das dritte Schreiben stammte nicht aus Washington und nicht von den Dienstvorgesetzten des Capt’n, sondern von dem Kommandanten des Forts Randall am Missouri, der Roach auf Intrigen eines gewissen Herrn Morris aufmerksam machen wollte. Vielleicht ließe sich an den höchst überraschenden und unangenehmen Befehlen und Entscheidungen doch noch etwas ändern, wenn man die zuständigen Instanzen zutreffender informierte.
    Warum Tobias noch nicht kam?
    Anthony Roach klingelte mit der Glocke, die noch von der Zeit her, als Smith Kommandant gewesen war, auf dem angekohlten Eichentisch stand. Sie hatte Kampf und Brand überlebt, zierlich und dauerhaft wie der Capt’n selbst, und gab in jeder Hand den gewünschten Ton.
    Tobias, der indianische Kundschafter, trat ein. Dieser Scout war in den Augen des Capt’n ein Requisit aus vergangenen Tagen, aber auch im Frieden für dies und jenes brauchbar, immer dienstwillig, nicht schwatzhaft. Roach hatte sich an ihn gewöhnt und spendierte ihm des öfteren Dollar, um sich seiner Ergebenheit völlig zu versichern und selbst auf billige Weise den großen Mann zu spielen.
    Der Capt’n setzte sich, steckte sich die dritte Zigarette an, blies Rauch in feinen Kringeln und lehnte sich wieder zurück. »Tobias! Welcher Idiot kann neuerdings über den verdammten Burschen in unserem Keller geplaudert haben?«
    »Nur ein Idiot, Capt’n.«
    »Wer ist das, ein Herr Morris?«
    »Ein verrückter Maler, Capt’n, der immer Indianer gemalt hat.«
    »Der Verrückte mischt sich in Angelegenheiten, die ihn nichts angehen. Hat er auch diesen Harry Tokei-ihto einmal abkonterfeit?«
    »Kann sein, Capt’n, kann auch nicht sein. Weiß nicht.«
    »Es ist ein Befehl gekommen, daß wir das rote Schwein aus dem Keller laufenlassen sollen. Hol mir den Feldscher!«
    »Jawohl, Capt’n!«
    »Eine halbe Stunde später Fräulein Cate Smith.«
    »Jawohl, Capt’n.«
    Tobias führte den Befehl aus und brachte den Feldscher. Captain Roach hatte diesen Sanitäter in schlechter Erinnerung, weil er im vergangenen Frühjahr die durchschossene Hand des damaligen Leutnants Roach nach Meinung des Patienten brutal behandelt hatte. Aber ein solcher Kurpfuscher mochte jetzt gerade nützlich sein.
    »Brauche Ihre Meinung über den Gesundheitszustand unseres Gefangenen«, erklärte der junge Kommandant dem Eintretenden. »Tobias, hebe uns den Bodendeckel auf, laß die Leiter hinunter, und dann troll dich!«
    »Wo ist der Schlüssel, Capt’n?«
    »Der … ach so!« Roach wies auf ein Wandschränkchen. »Dort! Mach auf – ja – links in dem kleinen Kasten. Hast du?«
    Tobias hatte den kleinen Schlüssel gefunden. Seit dem mißglückten Befreiungsversuch war der Gefangene im Keller unter dem Kommandantenzimmer sehr sicher verwahrt. Die Kellerluke zum Hof hatte Roach vergittern lassen. Der Bodendeckel hatte Scharnier und Vorhängeschloß erhalten. Tobias schloß jetzt das Vorhängeschloß auf und hob den schweren Deckel. Er ließ die Leiter hinunter und entfernte sich dann befehlsgemäß.
    Roach erhob sich.
    Der Feldscher, ein bärtiger Mann, begann als erster über die Leiter in den Keller hinabzusteigen. Roach folgte ihm, etwas besorgt um seine fleckenlose Uniform.
    Als der Capt’n den Kellerboden erreicht und die Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatte, faßte er den gefangenen Indianer ins Auge.
    Der Dakota stand aufrecht. Er hatte das Gesicht der Luke zugekehrt, durch die das weißliche Licht vom Hof her nur mit einem Streifen in schräger Bahn eindrang. Den beiden Männern, die in den Keller heruntergekommen waren, drehte er den Rücken zu.
    Feldscher Watson trat an den Indianer heran. Der Dakota war um einen Kopf größer als seine beiden Besucher. Er trug noch immer die Kleidung, in der er gefangengenommen worden war, den reich bestickten Rock, Gürtel,
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