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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Häuptling vor den Verhandlungen verbürgt, daß er dieses Fort wieder frei verlassen kann. Ihr müßt Tokei- ihto sagen, daß der Befehl, ihn freizulassen, da ist. Dann wird der Häuptling leben wollen.«
    »Ich soll es ihm sagen?«
    »Ja, Ihr! Ihr seid die einzige, die einen zweiten Schlüssel zum Kommandantenzimmer besitzt. Bei Euers Vaters Sachen müßt Ihr ihn gefunden haben.«
    »Das ist wahr. Ich kann ihn dir geben.«
    »Nein. Ich muß mit Roachs Brief nach Randall reiten; mein Mustang steht bereit. Ich habe schon viel Zeit verloren, um noch vorher mit Euch zu sprechen. Geht Ihr selbst nachts in das Kommandantenzimmer und steigt in den Keller hinunter. Der Schlüssel für die Bodenluke liegt im Wandschrank, das habt Ihr auch gesehen. Wenn Euch jemand trifft, so sagt, der Geist Eures Vaters habe Euch gerufen und verfolge Euch. Niemand wird Euch bestrafen, wenn etwas fehlgeht. Man wird Euch wegschicken, das ist alles und nicht mehr, als Euch sowieso bevorsteht. Aber des Gefangenen wegen müßt Ihr vorsichtig sein. Roach sucht nach einem Grund, den Dakota zu töten, ehe er ihn freilassen muß.«
    »Tobias! Nicht nur Roach schläft in seiner Kammer über dem Keller. Im Kommandantenzimmer hält ein Mann Wache!«
    »Aber nicht heute nacht. Ich habe den Burschen wissen lassen, daß er sich heute nacht fernzuhalten hat, weil Roach es so wünsche und Euch einmal nachts bei sich empfangen wolle, ehe Ihr abreist.«
    »Tobias! Bist du wahnsinnig geworden!«
    »Das Kommandantenzimmer ist heute nacht leer. Ihr könnt dessen gewiß sein. Ihr habt den zweiten Schlüssel. Niemand wird Euch aufhalten.«
    Tobias konnte nicht wissen, was in Cate vorging, und in der Dunkelheit ihr Mienenspiel nicht beobachten.
    »Ich wage es«, sagte sie aber endlich. »Mein Vater würde wünschen, daß ich es tue.«
    »Gut.« Tobias entfernte sich noch nicht. Er zog einen Brief hervor und gab ihn Cate. »Der junge Adams wartet darauf, daß Ihr das Fort verlaßt«, sagte er dabei. »Er will Euch zur Frau nehmen, wenn Ihr mit ihm hinaufgehen werdet nach Canada. Adams ist ehrlich. Vertraut ihm und lest den Brief genau. Ihr kennt ihn doch, den Adams. Er hat immer zu Eurem Vater gehalten.«
    »Es ist wahr, was du sagst, Tobias.« Cate atmete auf. »Wirst du Adams noch einmal treffen?«
    »Ich kann ihm Eure Antwort bringen.«
    Als Roach und der Feldscher die Kellerluke wieder verschlossen hatten, hatte sich der Gefangene gerührt. Er hatte seinen Standplatz, der ihm den Blick zur Luke gewährte, verlassen und war zu der Wand zurückgetreten. Seine Kette klirrte. Er haßte es, sich auf den Kellerboden in den Schmutz zu legen, und lehnte sich an die Wand, um die Nacht im Stehen zu verbringen, wie er es in den Gefahren der Wildnis gelernt hatte. Aber es fiel ihm jetzt schwerer als früher. Seine Kräfte hatten nachgelassen.
    Draußen seufzte und sang der Wind.
    Irgend etwas schwebte durch die Dunkelheit und glitzerte. Ein paar Flocken verirrten sich und schwebten zögernd durch die Luke herein. Die Augen des Gefangenen folgten ihnen, bis sie am Boden zergingen.
    Obgleich der Gefesselte erschöpft war, schlief er nicht ein. Mit eingesunkenen Schultern lehnte er an der Wand und hing in halbwachem Zustand seinen Gedanken und Fieberphantasien nach. Er dachte an sein Zelt, an Mutter und Schwester. Er dachte an seinen Mustang und an die weite Prärie. Er dachte an seine Kampfgefährten, aber er hoffte nicht mehr, sie wiederzusehen. Der Gefangene hatte gehört, daß sein Volk geschlagen, daß es aus der Heimat vertrieben und ganz unterworfen sei; das hatte ihm der Wächter mit einer bösen Freude ausgemalt. Er hatte gehört, daß er selbst krank sei und nur noch wenige Tage zu leben habe. Als der Gefangene vor Tagen aufgehört hatte zu essen, weil seine Organe unter dem Druck der Kette kaum mehr arbeiten konnten, und als er mit keinem Wort um das verweigerte Wasser zum Trinken bat, da hatte er von sich selbst geglaubt, daß er mit dem Leben abgeschlossen habe und gegen seine feindliche Umgebung nicht nur Gleichmut spiele, sondern auch im Innern völlig gleichgültig geworden sei.
    Als Roach mit dem Feldscher gekommen war, hatte der Gefesselte aber die Erfahrung machen müssen, daß noch etwas in ihm lebte, wovon er selbst nichts mehr gewußt hatte. Er hatte gar nichts gegenüber dem bärtigen Feldscher selbst empfunden. Aber als dieser ihn im Auftrag des Capt’n Roach anfaßte, hätte der Gefangene den Anthony Roach niederschlagen mögen. Noch immer war der
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