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Typisch Helmut Schmidt: Neue kleine Geschichten über einen großen Mann (German Edition)

Typisch Helmut Schmidt: Neue kleine Geschichten über einen großen Mann (German Edition)

Titel: Typisch Helmut Schmidt: Neue kleine Geschichten über einen großen Mann (German Edition)
Autoren: Jost Kaiser
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wichtige Mann im Raum ohne Cut ist. Selbst der Vertreter des angeblichen Arbeiter- und Bauernparadieses DDR hält sich an Protokoll und bürgerliche Kleiderordnung.
    Eine anwesende Dame der Bonner Gesellschaft ist fassungslos: »Entsetzlich, einfach shocking.«
    Fünf Jahre später erfolgt der nächste Angriff aufs Protokoll: Ein junger Abgeordneter tritt – das hat es noch nie gegeben – im Bundestag ohne Krawatte auf und kassiert einen Ordnungsruf.
    Es ist wieder ein Sozialdemokrat. Er heißt Gerhard Schröder. Diese Sozis.

 
    Als Helmut Schmidt einmal …
    … »den« nicht weiterregieren lassen wollte
    Wenn der Kanzler Urlaub macht, regiert in Bonn, sehr zu Schmidts Verdruss, der Vizekanzler. Und der ist von der FDP. Hans-Dietrich Genscher, der Mann mit den großen Ohren und den großen Ambitionen, darf dann im Kabinettssaal auf dem beigen Ledersessel mit der langen Kanzlerlehne Platz nehmen.
    Das ist auch im August 1981 so. Die sozialliberale Koalition ist inzwischen mehr oder weniger am Ende. Man braucht nur noch einen guten Grund zur Trennung. Und einen Buhmann, dem man den Koalitionsbruch anlasten kann: Genscher. Anders als im Fall Strauß, an dem Schmidt sich unermüdlich abarbeitet, ist die Beziehung zu Genscher keine Hassliebe – die Liebe fehlt.
    Schmidt macht in diesen Tagen wie immer Urlaub an seinem geliebten Brahmsee. Hier ist alles schön. Die Grillen zirpen, die Brombeeren sind reif, die Vögel jubilieren. Der Kanzler spielt Schach mit Loki, sägt ein bisschen Holz und segelt mit seiner Jolle. Ach, könnte man nicht von hier aus regieren, weitab vom Bonner Sumpf mit seinen lästigen Kleinstparteien, die des Kanzlers Wirken behindern und den Verrat anbahnen?
    Bonn ist nicht Weimar. Und der Brahmsee nicht Bonn. Schmidt kommt nicht zur Ruhe, es arbeitet in ihm. Denn im Kabinettssaal auf dem Sessel mit der verlängerten Rückenlehne sitzt ja weiterhin – Genscher. Er vertritt den Kanzler und spielt in Bonn die Nummer eins.
    Das kann der richtige Kanzler nicht ertragen: Abmarsch vom See, Schluss mit Holzhacken und Heckenrasieren. Jetzt wird wieder die FDP rasiert. Auf die Frage eines Journalisten, warum er nicht ein paar Tage länger Urlaub mache, er wirke so gar nicht entspannt, sagt Schmidt: »Soll ich den noch länger regieren lassen?«

 
    Als Helmut Schmidt einmal …
    … den Tagesanbruch nach hinten verschob
    Der Körper eines Kanzlers gehört nicht mehr ihm selbst. Er gehört auch irgendwie dem Staat. Der Regierungschef muss fit sein, um das Land zu führen. Der Kanzlerkörper ist ein Politikum. Das Problem von Helmut Schmidt ist nun, dass er allerlei Krisen weltweit managen kann – nur nicht seine eigenen Gesundheitskrisen.
    Der Kanzler hat seit den Siebzigerjahren mehrere Krankenhausaufenthalte hinter sich. Mal bringt er ein seltsames Fieber aus Tansania mit, mal klappt er bei einer Marinevorführung auf See zusammen, dann wieder m üssen Splitter aus einem Auge entfernt werden.
    1981 soll Schmidt im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz ein Herzschrittmacher eingesetzt werden. Das Weiterregieren bereitet ihm keine Schwierigkeiten, die Akten werden zugeliefert, aber ein Problem hat Schmidt mit dem Tagesablauf. Er geht normalerweise um eins ins Bett und steht um acht auf.
    Als der Kanzler – wie auf der Krankenstation üblich – aber um sechs aus dem Schlaf gerissen wird, sinkt seine Stimmung. »Müsst ihr mich eigentlich mitten in der Nacht wecken?« Dabei genießt der Kanzler bereits ein Privileg: Normalerweise wird die Nachtruhe in deutschen Krankenhäusern um 4.30 Uhr beendet.
    Schmidt ist sauer.
    Werner von Hoff, Geschäftsführer der Aktion »Mehr Menschlichkeit in Krankenhaus und Praxis«, nimmt sich der Sache an. Das Stören der Nachtruhe habe Gründe: »Das frühe Wecken hat seine Wurzeln in der Zeit, als die Schwestern fast ausschließlich Nonnen waren. Sie machten ihre Patienten morgens so zeitig fertig, dass sie anschließend in die Frühmesse gehen konnten.«
    Doch der Unmut des Patienten mit der Lotsenmütze löst immerhin eine Diskussion aus. Wenn Schmidt genervt ist – besteht dann nicht Handlungsbedarf? Der Kanzler löst eine bundesweite Weckzeit-Diskussion aus, an der sich – dem prominenten Kritiker angemessen – nur die besten Weckzeit-Historiker beteiligen.
    Von Hoff: »Die frühen Weckzeiten sind zumindest unangenehm. Ob sie darüber hinaus nicht auch den Heilerfolg beeinträchtigen, hat leider bisher noch keine Untersuchung geklärt. Wir treten dafür ein, dass die
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