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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld
Autoren: James Sallis
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etwas wie ein Übungsreifen - wenn ich das richtig sehe.«
    Lonnie setzte den Becher ab, stand dabei gleichzeitig auf und fischte seine Schlüssel raus.
    »Hat dann keinen Sinn, es rauszuschieben.«
    Bürgermeister Sims öffnete die Tür im Bademantel.
    »Stehst gerne früh auf, was, Henry Lee?«
    »Warum hörst du nicht damit auf, Lonnie? Besser noch, warum tust du nicht etwas Sinnvolles, wie zum Beispiel, deine Stiefel zu putzen.«

    »Findest du, die haben’s nötig?«
    »Was ich denke, das sie nötig haben, ist wegschmeißen.«
    »Ich nehme nicht an, dass du den Anstand hattest, auf dem Weg anzuhalten, um einen Kaffee mitzubringen?«
    »Tut mir leid.«
    Sims fuhr sich mit einer Hand durch sein schütter werdendes Haar. »Ich war die ganze Nacht im Pflegeheim. Dorothy geht es schlechter. Fing gegen zehn Uhr an, Probleme mit der Atmung zu haben.«
    »Tut mir leid, das zu hören. Ist mit ihr jetzt alles in Ordnung?«
    »Stabil - zumindest für den Augenblick. Sie ist an der Beatmungsmaschine. Nur ein oder zwei Tage, haben sie mir gesagt, nur um ihr eine zeitweilige Entlastung zu geben. Der Doktor, der sich um sie kümmert, sieht aus wie vierzehn. Er hat einen Diamant-Knopf im Ohr und kommt wahrscheinlich mit dem Skateboard zur Arbeit.«
    »Kann ich irgendwas tun?«
    »Nichts, außer mir zu sagen, warum, in Teufels Namen, du um diese Tageszeit hier draußen bist.«
    Ich nehme an, Lonnie hat in seinem Leben noch nie Tennis gespielt, von Doppeln mal ganz abgesehen, aber sein Instinkt war gut, und er zog sich zurück. Der nächste Lob war meiner.
    »Ich hatte Sie schon früher gefragt, ob Sie mal über einen Filmemacher namens BR gestolpert sind.«
    »Und ich sagte nein.«
    »Obwohl Sie selbst als Produzent seines letzten Films genannt werden.«
    Bürgermeister Sims saß da und starrte aus dem Fenster.
An der Ecke der Veranda, bei einem Vogelhäuschen, das aussah, als hätte es ein Kind mit bunten Wachsmalstiften angemalt, waren drei Kolibris mit ihrer Version eines mexikanischen Patts beschäftigt.
    »Es existieren keine Kopien dieses Films«, sagte er.
    Hätte er hinzufügen sollen: Dafür habe ich gesorgt? Ich fragte nicht nach.
    »Es gibt einen Rohschnitt, den jemand zusammengebastelt hat. Er ergibt nicht viel Sinn.«
    »Glauben Sie mir, das war nie anders.«
    Lonnie schaltete sich wieder ein. »Wir müssen wissen, was los ist, Henry Lee. Worum es hier geht.«
    »Ich verstehe.«
    Wir saßen schweigend da, während draußen vor dem Fenster sich die Kolibris weiter zankten. Wilde kleine Biester. Furchtlos. Im Osten, über einer Gruppe von Ahornbäumen, sammelten sich dicke weiße Wolken, Kumulonimbus.
    »Habt ihr Lust und Zeit zu einer längeren Fahrt?«
    »Was immer nötig ist«, sagte Lonnie.
    »Gebt mir ein paar Minuten. Ich muss im Pflegeheim anrufen, um zu hören, wie es Dorothy geht. Dann schnappe ich mir ein paar Klamotten, und wir können los.«

    Knapp zwei Stunden später, nachdem wir ein Patchwork aus engen Straßen durchquert hatten, vorbei an kleinen Eichen-und Tannenwäldern, die Wegesränder voller Kudzobohnen und Geißblatt, erreichten wir unser Ziel. Bürgermeister Sims und Lonnie saßen vorne und redeten von
irgendwelchen belanglosen Dingen. Wie die neuen Kids sich in der Football-Mannschaft machten, Gerüchte über einen Kmart-Supermarkt, kürzere Öffnungszeiten der städtischen Mülldeponie. Wohl kaum von Königen und Zibeben. Entweder, weil es ihm egal war, oder absichtlich, weil er so aussehen wollte wie die schicken Leute im Fernsehen, trug Sims ein Sportsakko über einem schwarzen T-Shirt. Ich saß auf der engen, harten Rückbank. Das Radio spielte leise, irgendeine Interview-Sendung. Als Antwort auf einen leidenschaftlichen Bericht über die Armut in der Welt, erklärte der Fachmann des Tages, das Problem läge bei jenen Gesellschaften, die darin versagten, die Menschen dazu zu »inzentiveren«, dass sie aus sich rausgingen und »kreativ lebten«. Während ich der Stimme des Sachverständigen zuhörte, sinnierte ich wieder darüber, dass es weniger der Akzent als viel mehr der Rhythmus ist, der uns verrät. Wo man betont, in dem Moment, wo ein Satz zu Ende geht, Pausen vor Substantiven oder Verben.
    »Nimm die nächste rechts«, sagte Sims. Wir kamen zu einer eruptiven Ansammlung von Häusern, die wie eine Oase wirkte. Tankstelle, Lebensmittelladen, Werkstatt. Alles schien belebt und in Funktion. Maggie’s Café, trotz der Versprechen von Frühstück für 1,98 $ und Mittagstisch für 2,95
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