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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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mich zuquillt, wenn ich den Atem anhalte. Einen Moment lang, den ich der vergehenden Zeit abringe, der leer bleibt. Dann werde ich ihn brauchen, diesen aufgesparten Atemzug.
    Warum denke ich das? Mit den Krähen hat es angefangen, das Ahnen, alle haben angefangen zu ahnen, unruhig wie ein Schwarm Krähen ist die Stadt. Niedersetzen, wiederaufstieben. Vielleicht versuchen alle, sich einen solchen Moment zu retten, der nicht von der Zeit verbraucht wird. Indem sie innehalten im Lieben, eine Bewegung zurücknehmen, ein Wort sagen, wo die Sprache so dicht ist, daß eigentlich keines mehr dazwischenpaßt. Vielleicht schließen sie beim Gehen in der Menge schnell die Augen für einen Moment, und auf ihrer Netzhaut verharrt das Bild. Etwas wie das liegt über der Stadt, hier oben spüre ich es ganz deutlich. Wie die Krähen ziehen die Menschen ihre Kreise. Jeder sammelt für sich für die Zeit, wo etwas fehlen könnte, ohne daß er eine genaue Vorstellung davon hat, was das sein könnte. Aber alle ziehen mit, egal wohin die Kreise führen, sie bleiben beisammen. Jeder mit seinem Moment, der nur ihm das Leben ein Stück verlängern wird, einen Atemzug lang, einen Gedanken lang, ein paar Jahre.
Okuli
    Es war der Sonntag Okuli. Die Luft am Vorabend roch nach all dem, was man hier oben doch gar nicht mehr riechen konnte. Sie roch nach Erde, die bis in die Tiefen der Wurzelspitzen wieder auftaute und weich wurde von den peristaltischen Bewegungen der Regenwürmer und zerwühlt von den harten Schaufeln der Maulwürfe. Nach Dämmerung roch sie, in der die Amseln den Tag zusammenrufen. Der von den Amseln geschulterte Tag, der zu dieser Jahreszeit weit in den Sommer, den Herbst hineingriff, mit dem ganzen Sehnen, das beide nicht erfüllen würden. Das plötzliche Verstummen der Amseln, und mit einemmal ist die Nacht gekommen.
    Dieser Geruch mußte in mir sein, ich hatte ihn mitgenommen. An mein Leben unten mußte ich denken. Auch wenn man alles zurückläßt, die Koffer packt man von Anfang an und die kommen immer mit. Die Koffer, die früher die Eltern packten, denn die wußten besser, was hineingehört. Die Koffer, in denen sich dann aber doch der ganze sinnlose Kram fand, an dem man hängt. Wie war das da hineingekommen? Die Eltern wundern sich. Keiner weiß es, ich schon gar nicht. Die Koffer, die viel zu schwer sind, wenn man älter wird. Und was man einpackt, ist viel mehr, als man tragen kann, so ganz ohne Gewöhnung. Die Koffer, von denen später wieder andere einen Teil beanspruchen, um ihre Sachen mit hineinzupacken. Die Koffer, die man auskippt, gegen die man tritt. Die man auf Bahnhöfen stehenläßt und die einer zur Fundstelle bringt, nachdem er, was er brauchen kann, herausgenommen hat. Die Koffer, die man nach so einem Vergessen wieder am Hals hat. Die durch viele Hände gegangenen Koffer, in die man täglich hineinpackt und um und um wühlt und hinauswirft.
    Okuli. Meiner Augen Sehen. Meiner Augen überviele Sinne. Es ist gut, hier auf dem Dachboden die Orgel zu hören. Ich kenne den Choral, und er dringt hier hoch, auch wenn ich alle Ritzen des Bodens zuhielte und auch die Worte der Predigt:
Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes
. Als ich hier hochkam, hatte ich noch viel. Wenn ich gehen werde, will ich nichts mehr haben. Das Tagebuch hinter mir lassen.
Bleiben
    Es war der Sonntag Okuli, als ich weggehen wollte vom Turm, unbemerkt in die Kirche treten, mich in eine der hinteren Bänke setzen und nach der Messe mit den anderen in den Sonntagmorgen strömen, als hätte ich einen Mittagstisch, zu dem es mich zöge. Aber als ich mich bei diesem Gedanken aufhielt, merkte ich, daß es noch zu früh sein mußte: solange ich noch erscheinen wollte wie einer, der wußte, wohin er gehört, mußte ich noch auf dem Turm bleiben. Erst der Tag, an dem ich die Stufen hinuntergehe, ohne ihre Zahl, die Rückkehr, mitzudenken. An dem ich mich unten auf dem Kirchplatz umsehe und wundere, wieso ich heruntergekommen bin und dann auch das vergesse: mich zu wundern und der nächste Weg mir der einzige erscheint. Und immer weitergehe und jeden Gedanken erst zu seiner Zeit denke: was soll ich essen, wo soll ich schlafen, wer gibt mir Arbeit. Erst wenn dieser Tag da ist, ist meine Zeit auf dem Turm vorbei.
Kerfe
    Es ist stürmisch draußen. Ich liege ausgestreckt auf dem Boden und sehe nach den Masten. Aus der Decke fällt Staub. Wie einfach es wäre, leicht zu werden, zu zerfallen
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