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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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in der oberen Mensur und der anwachsende Kegel in der unteren voneinander, einer der Abdruck des anderen.
    In der Eichuhr waren nur noch wenige Körnchen, schwindelnd fielen die letzten, und es war ganz still für einen kleinen Moment. Er legte die neue Uhr, in der noch Sand in der oberen Mensur verblieben war, auf den Tisch.
    Vater war verändert, er öffnete die Sanduhr, schüttete den überflüssigen Sand in den Mörser zurück, fügte die Mensuren wieder zusammen und gab sie mir zu halten. Er ging aus dem Zimmer und kam nach einer Weile mit einem Topf dampfenden Pechs zurück. Der Junge war aus ihm verschwunden. Ich sah Vater zu, wie er die Mensuren verpichte. Ich hätte gern darüber gestaunt, wie er so schnell aus den Glaszapfen, die ich ihm gebracht hatte, eine Sanduhr gebaut hatte. Aber es war nichts gegen das Erstaunen, das ich darüber empfand, daß Vater und ich uns einen Jungen teilten. Ich hatte immer gedacht, es läge nur an mir, in den Jungen, der ich war, zurückzukehren, wann immer ich wollte. Doch jetzt wußte ich, daß ich ihn mir mit Vater teilen mußte, daß ich ihn deshalb so oft vergeblich gesucht hatte.
    Ich werde noch ein Holzgehäuse bauen, was sagst du, Jan? Ich überlegte, was ich sagen sollte, ich konnte jetzt über die Sanduhren nicht nachdenken: Warum soll sie ausgerechnet eine halbe Stunde laufen? frage ich schließlich, obwohl es mir egal war.
    Verschwörerisch kam Vater auf mich zu: Wenn das hier ein Schiff ist, Jan, ein Schiff inmitten des Meeres, wie messe ich dann die Zeit? Warum nicht mit einer Uhr, ich verstand nicht, was die Frage sollte. Denk doch mal nach, Jan, das Wasser ist überall, die feuchte Luft. Du meinst, die Uhren würden rosten? fragte ich, ein bißchen stolz, ins Schwarze getroffen zu haben. Er zog leicht seine linke Braue hoch: Na, also – ging zum Fenster, öffnete es und sah hinaus. Es war windig draußen. Hör mal zu, sagte er über die Schulter zu mir, um dann in den Wind hinein weiterzusprechen. Ich mußte mich ganz dicht neben ihn stellen, um etwas zu verstehen, hatte aber seine ersten Worte schon verpaßt: … und du hast dasselbe gefragt. Deine Mutter hat uns unterbrochen, weil sie dachte, wir wären fertig, aber ich wartete noch darauf, ob du etwas über Schiffe oder übers Meer sagst. Ob du daran denkst, wenn du auf dem Dachboden bist und aus der Luke siehst. Ich wollte wissen, ob wir manchmal die gleichen Gedanken denken. Ich meine – dieselben, er wendete seinen Kopf ein wenig zu mir, aber als er fast meinen Blick traf, hielt er inne. Ich erschrak, als ich sein Gesicht sah: er war wieder der Junge. Aber ich war es auch, zwischen der Berührung unserer Blicke lag nur noch ein enger Winkel. Was würde geschehen, wenn ein und derselbe Junge sich ansahen? Vater drehte seinen Kopf nicht weiter zu mir. Er ging einen Schritt vom Fenster weg, zog den linken Flügel heran und verriegelte ihn. Dann sagte er: Du wolltest doch wissen, warum ich sie auf eine halbe Stunde eichen will. Das ist die Laufzeit für die Uhren der Schiffswachen. Ich stand mit gesenktem Kopf vor ihm, weil ich mich nicht traute, ihn anzusehen. Wenn ich auf den Planken liege, begann ich die Antwort auf seine vorige Frage, und das Knarren der Balken höre, schwankt manchmal der Boden unter mir, und ich denke an die lichtlose Tiefe, an das schwerelose Gehen über den Grund, mein Atem setzt kurz aus, als würde ich ertrinken. Wie lange? fragte er. Vielleicht so lange, bis ich mich an meinen Namen erinnert habe. Ja, sagte er, genau so lange. Und er lächelte ein bißchen, als ich jetzt zu ihm hochsah. Er war ein großer Mann, ich würde nicht mehr viel wachsen, er würde einen halben Kopf größer bleiben als ich. Wie viele Gläser soll ich dir noch besorgen? fragte ich ihn.
Holz
    Was war geschehen? Eben war es fast noch Sommer gewesen. Und nun war es so kalt, daß man nicht wußte, wohin man sich verkriechen soll. Die Straßen waren jetzt ganz leer. Mußte keiner mehr arbeiten? Vaters Schritte auf dem Umgang, er fror. Sein Gesicht war angestrengt. Finster sah er zum Himmel. Die Wolken waren schnell, und der abgetragene schwarze Paletot eines seiner Vorgänger schlug ihm um den Körper. Alle Viertelstunde mußte er in dieses Hundewetter hinaus. Seine Schritte waren wie ein Vorwurf: Da, und da, und da, und da. Hört euch das an, ihr unter dem Dach, ihr unter dem Rauch aus den Essen. So, und so, und so, und so.
    Jetzt hatte er seinen Rundgang beendet, er trat kalt zur Tür herein, ging wortlos
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