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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit
Autoren: B Akunin
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Bescheidenheit. »Kann man glauben, daß dieser bezaubernde, geistreiche, durch und durch europäische Herr und der tückische, grausame Chef des türkischen Geheimdienstes ein und dieselbe Person sind?«
    »Nie und nimmer!« bemerkte Sobolew. »Ich glaube es auch jetzt noch nicht.«
    Fandorin nickte zufrieden.
    »Nun die Geschichte mit MacLaughlin und dem nicht stattgefundenen Durchbruch. Hier war alles einfach und ohne Risiko. Dem vertrauensseligen James die ›sensationelle‹ Nachricht unterzujubeln war nicht schwierig. Der Informant, den er uns verheimlichte und auf den er so stolz war, arbeitete gewiß für Sie, Effendi.«
    Warja zuckte zusammen, so unangenehm berührte sie diese Anrede. Nein, da stimmte was nicht! Wieso denn »Effendi«?
    »Sie haben geschickt mit MacLaughlins Vertrauensseligkeit und seiner Eitelkeit gespielt. Er hat den glänzenden Charles d’Hévrais so beneidet und davon geträumt, ihm den Rang abzulaufen! Bislang war es ihm nur beim Schachspiel gelungen, und auch da nicht immer, und nun ein so phantastischer Glücksfall! Exclusive information from most reliable sources 17 ! Und was für eine Information! Für solche Enthüllungen würde jeder Reporter dem Teufel seine Seele verkaufen. Wenn MacLaughlin nicht unterwegs Warwara Andrejewna getroffen und sich nicht mit ihr verplaudert hätte … Osman würde das Grenadierkorps überrannt, die Blockade durchbrochen und sich zum Schipka zurückgezogenhaben. Dann wäre an der Front eine Pattsituation entstanden.«
    »Aber wenn MacLaughlin kein Spion ist, wo ist er dann geblieben?« fragte Warja.
    »Erinnern Sie sich an die Erzählung Ganezkis, wie die Baschi-Bosuks ihn und seinen Stab überfielen und der verehrte General kaum entkam? Ich meine, die Diversanten wollten nicht Ganezki, sondern MacLaughlin. Ihn mußten sie beseitigen, und er verschwand. Spurlos. Wahrscheinlich liegt der betrogene und verleumdete Ire jetzt irgendwo am Grunde des Flusses Wid mit einem Stein um den Hals. Oder die Baschi-Bosuks haben ihn ihrer netten Gewohnheit entsprechend in Stücke gehauen.«
    Warja erschauerte, als sie daran dachte, wie der rundgesichtige Korrespondent während ihrer letzten Begegnung Kuchen mit Marmelade mampfte. Da hatte er nur noch ein paar Stunden zu leben.
    »Hat Ihnen der arme MacLaughlin nicht leid getan?« fragte Fandorin, aber d’Hévrais (oder vielleicht doch Anwar Effendi?) bat ihn mit einer eleganten Geste fortzufahren und legte wieder die Hände auf den Rücken.
    Warja entsann sich ihrer psychologischen Ausbildung, wonach auf dem Rücken verschränkte Hände Verschlossenheit signalisieren wie auch Unlust, die Wahrheit zu sagen. War es möglich? Sie trat näher zu dem Journalisten, sah ihm prüfend ins Gesicht und versuchte, in den bekannten Zügen etwas Fremdes, Furchteinflößendes zu entdecken. Das Gesicht war wie immer, allenfalls ein wenig blasser. Er sah Warja nicht an.
    »Der Ausbruch scheiterte, doch Sie kamen wieder ungeschoren davon. Ich habe mich sehr beeilt, von Paris an den Kriegsschauplatz zurückzukehren, denn ich wußte schon sicher, wer Sie sind und wie gefährlich Sie sind.«
    »Sie hätten ein Telegramm schicken können«, knurrte Misinow.
    »Was für eins, Hohe Exzellenz? ›Der Journalist d’Hévrais ist Anwar Effendi?‹ Sie hätten gedacht, ich wäre übergeschnappt. Denken Sie daran, wie ausführlich ich Ihnen die Beweise darlegen mußte, weil Sie die Version von den englischen Umtrieben nicht aufgeben wollten. Und Sie sehen, General Sobolew ist auch nach meinen weitschweifigen Erklärungen noch nicht überzeugt.«
    Sobolew schüttelte stur den Kopf.
    »Wir hören Sie zu Ende an, Fandorin, und dann lassen wir Charles zu Wort kommen. Eine Untersuchung kann nicht nur aus dem Plädoyer des Staatsanwalts bestehen.«
    »Merci, Michel.« D’Hévrais lächelte kurz. »Comme dit l’autre, a friend in need is a friend indeed. 18 Eine Frage an den Herrn Staatsanwalt. Wie ist Ihnen überhaupt in den Sinn gekommen , mich zu verdächtigen? Von Anfang an? Stillen Sie meine Neugier.«
    »Wie schon«, sagte Fandorin verwundert. »Sie waren sehr unvorsichtig. Man darf doch nicht so mit der Gefahr spielen und den Gegner derartig unterschätzen! Als ich das erstemal Ihre Unterschrift d’Hévrais in der ›Revue Parisienne‹ sah, ist mir sofort eingefallen, daß unser Hauptwidersacher Anwar Effendi aus dem bosnischen Städtchen Hévrais stammt. D’Hévrais, ›aus Hévrais‹, ist ein gar zu durchsichtiges Pseudonym, das werden
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