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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit
Autoren: B Akunin
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aus.
    Plötzlich wurden Warjas Betrachtungen aufs rücksichtsloseste unterbrochen. Fandorin beugte sich herab und packte den Esel am Zügel, und das dumme Tier blieb so ruckartig stehen, daß Warja beinahe über den langohrigen Kopf hinweggeflogen wäre.
    »Was soll das, sind Sie von Sinnen?«
    »Schweigen Sie jetzt, was auch geschieht«, sagte Fandorin halblaut und sehr ernst und blickte geradeaus.
    Warja hob den Kopf und sah einen formlosen Reitertrupp, an die zwanzig Mann, in eine Staubwolke gehüllt, ihnen entgegensprengen. Sie sah zottige Schapkas, Sonnenfünkchen spielten auf den Patronenfutteralen an den Tscherkessenröcken, auf dem Zaumzeug und den Waffen. Einer ritt an der Spitze, um seine Pelzmütze war ein grünes Tuch geschlungen.
    »Sind das Baschi-Bosuks?« fragte Warja, und ihre Stimmevibrierte. »Was wird jetzt? Sind wir verloren? Werden sie uns umbringen?«
    »Wenn Sie still sind, nicht«, antwortete Fandorin nicht sehr überzeugt. »Ihre plötzliche Geschwätzigkeit ist völlig unangebracht.«
    Sein Stottern war wie weggeblasen, und davon wurde ihr ganz unheimlich.
    Fandorin nahm den Esel wieder beim Zügel, ritt zum Straßenrand, zog Warja die Schapka bis über die Augen und flüsterte:
    »Sehen Sie nach unten, und keinen Ton.«
    Trotzdem riskierte sie einen verstohlenen Blick auf die berühmten »Halsabschneider«, von denen seit zwei Jahren alle Zeitungen schrieben.
    Der Mann an der Spitze (sicherlich der Bek) hatte einen rötlichen Bart und trug einen schmutzigen zerrissenen Beschmet, doch seine Waffe glänzte silbern. Er ritt vorbei, ohne die jämmerlichen Bauern eines Blicks zu würdigen. Anders seine Bande. Ein paar Berittene hielten bei Warja und Fandorin und schnatterten gaumig. Die Physiognomien dieser Baschi-Bosuks waren so beschaffen, daß Warja am liebsten die Augen zugekniffen hätte – sie hatte nicht geahnt, daß Menschen so aussehen können. Plötzlich entdeckte sie unter den alptraumhaften Visagen ein ganz gewöhnliches menschliches Gesicht. Es war bleich und hatte ein blutunterlaufenes Auge, und das andere Auge, braun und voller Todesangst, sah sie direkt an.
    Inmitten der Räuber ritt, rücklings im Sattel sitzend, ein russischer Offizier in verstaubter, zerfetzter Montur. Seine Hände waren auf dem Rücken zusammengeschnürt, an seinem Hals hing eine leere Säbelscheide, in einem Mundwinkel war Blut angetrocknet. Warja biß sich auf die Lippe, um nicht aufzuschreien; sie hielt die Hoffnungslosigkeit im Blick desGefangenen nicht aus und senkte die Augen. Aber ein Schrei, genauer, ein hysterisches Schluchzen entrang sich dennoch ihrem vor Angst ausgedörrten Hals, denn einer der Banditen hatte an seinem Sattelknauf einen hellblonden Menschenkopf mit langem Schnurrbart hängen. Fandorin preßte Warja den Ellbogen und sagte kurz etwas auf türkisch – sie verstand die Wörter »Jussuf Pascha« und »Kaimakam«, aber die hatten keine Wirkung auf die Räuber. Einer mit Spitzbart und riesiger krummer Nase zog Fandorins Stute die Oberlippe hoch, sah lange faulige Zähne, spuckte verächtlich aus und sagte etwas, und die anderen lachten. Dann schlug er der Mähre die Nagaika über die Kruppe, sie sprang erschrocken zur Seite und verfiel sogleich in einen ungleichmäßigen Trab. Warja stieß dem Esel die Absätze in die aufgeblähten Seiten, und er trippelte hinterher; sie wagte nicht zu glauben, daß die Gefahr vorüber sei. Um sie herum verschwamm alles, der entsetzliche Kopf mit den leidend geschlossenen Augen und dem blutverkrusteten Mund ließ ihr keine Ruhe. Halsabschneider sind Leute, die den Hals abschneiden – dieser alberne Satz schwirrte ihr durch den halb bewußtlosen Kopf.
    »Bitte keine Ohnmacht«, sagte Fandorin leise. »Vielleicht kommen die zurück.«
    Er hatte es beschrien. Gleich darauf hörten sie hinter sich näher kommendes Hufgetrappel.
    Fandorin sah zurück und flüsterte: »Drehen Sie sich nicht um, vorwärts!«
    Warja drehte sich trotzdem um, doch das hätte sie besser nicht getan. Die Baschi-Bosuks waren an die zweihundert Schritte weitergeritten, aber einer der Reiter, der mit dem abgeschnittenen Kopf am Sattel, war umgekehrt und folgte ihnen rasch, und die furchtbare Trophäe hüpfte lustig an der Kruppe seines Pferdes.
    Warja warf ihrem Begleiter einen verzweifelten Blick zu. Der schien seine Kaltblütigkeit verloren zu haben, mit zurückgeworfenem Kopf trank er nervös Wasser aus einer großen kupfernen Feldflasche.
    Der verdammte Esel trippelte
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