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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit
Autoren: B Akunin
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lassen. Aber Fandorin erwarb sich sogleich Vergebung – er holte ein erstaunlich sauberes Tuch aus der Tasche und legte es Warja an die Wange. Oh, den Kratzer hatte sie ganz vergessen!
    Der Pressemann hatte sich geirrt, als er sagte, die Verfolger kehrten mit leeren Händen zurück – Warja sah zu ihrer Freude, daß sie den gefangenen Offizier befreit hatten: Zwei Kosaken trugen den erschlafften Körper in der schwarzen Montur an Armen und Beinen. Oder war er, Gott behüte, tot?
    Vorneweg ritt diesmal der Geck, den der Brite Michel Sobolew genannt hatte, der junge General. Er hatte lustige blaue Augen und einen ungewöhnlichen Bart – gepflegt, buschig und zur Seite gekämmt wie zwei Flügel.
    »Sie sind weg, die Schurken!« schrie er von weitem und fügte einen Ausdruck hinzu, den Warja nicht ganz verstand.
    »There’s a lady here« 3 , sagte MacLaughlin und drohte mit dem Finger. Er nahm die Melone ab und trocknete die rosige Glatze.
    Der General nahm Haltung an, als er Warja erblickte, doch sein Blick glitt gelangweilt ab, begreiflich: ungewaschene Haare, ein Kratzer im Gesicht, unschöne Aufmachung.
    »Generalmajor Sobolew Zwei von der Suite Seiner kaiserlichen Hoheit«, stellte er sich vor und sah Fandorin fragend an.
    Aber Warja, über die Gleichgültigkeit des Generals erbost, fragte frech: »Zwei? Und wer ist Sobolew Eins?«
    Der General war verwundert.
    »Wer das ist? Na, mein Herr Vater, Generalleutnant Dmitri Iwanowitsch Sobolew, Kommandeur der Kaukasus-Kosakendivision. Haben Sie nie von ihm gehört?«
    »Nein. Nicht von ihm und nicht von Ihnen«, log Warja; Sobolew Zwei, den Helden von Turkestan und Bezwinger von Chiwa und Machram, kannte ganz Rußland.
    Über den General wurde ganz Unterschiedliches erzählt. Die einen priesen ihn als unvergleichlich tapfer, als Ritter ohne Furcht und Tadel und nannten ihn den künftigen Suworow oder gar Bonaparte, andere schmähten ihn als Poseur und Ehrgeizling. Die Zeitungen hatten berichtet, daß er sich ganz allein einer ganzen Horde Tekinzen erwehrt, sieben Wunden empfangen hatte und doch nicht zurückgewichen war, daß er mit einer kleinen Abteilung die tote Wüste durchquert und das zehnfach überlegene Heer des gefährlichen Abd ur Rachman Bek zerschlagen hatte, doch Bekannte von Warja hatten auch Gerüchte anderer Art erzählt – von Geiselerschießungen und dem Raub der Kokander Staatskasse.
    Ein Blick in die hellen Augen des schönen Generals überzeugte Warja: Das mit den sieben Wunden und Abd ur Rachman Bek war die lautere Wahrheit, das mit den Geiselerschießungen und der Kasse des Chans war Unsinn und Verleumdung von Neidern. Zumal Sobolew Warja jetzt genauer ansah und nun wohl doch Interessantes an ihr fand.
    »Aber was hat Sie, gnädige Frau, hierher verschlagen, wo Blut fließt? Und in dieser Kostümierung! Es macht mich neugierig.«
    Warja stellte sich vor und erzählte kurz von ihren Abenteuern, denn ein untrüglicher Instinkt sagte ihr, daß Sobolew sie nicht verraten und sie nicht unter Bewachung nach Bukarest zurückschicken würde.
    »Ich beneide Ihren Bräutigam, Warwara Andrejewna«, sagte der General und liebkoste Warja mit Blicken. »Sie sind eine außergewöhnliche junge Frau. Aber gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Gefährten vorstelle. Mister MacLaughlin haben Sie wohl schon kennengelernt, und dies ist meine Ordonnanz, Serjosha Berestschagin, Bruder des Malers Berestschagin.« (Vor Warja verbeugte sich linkisch ein magerer hübscher Jüngling im Tscherkessenrock.) »Er zeichnet übrigens auch sehr gut. An der Donau hat er bei einem Erkundungsritt die türkischen Stellungen aufgemalt – die reinste Augenweide. Aber wo ist d’Hévrais? He, d’Hévrais, kommen Sie, ich will Sie einer interessanten Dame vorstellen.«
    Warja musterte neugierig den Franzosen, der als letzter heranritt (er trug eine Armbinde »Presse 32«). Er war bildschön und stand darin General Sobolew nicht nach: schmale Hakennase, aufgezwirbelter blonder Schnauzer nebst rötlichem Spitzbärtchen, gescheite graue Augen. Die blickten im übrigen wütend.
    »Diese Halunken sind eine Schande für die türkische Armee!«rief er auf französisch. »Friedliche Einwohner abschlachten, das können sie, aber wenn es zum Kampf kommt, schlagen sie sich seitlich in die Büsche. Wäre ich Kerim Pascha, würde ich sie alle entwaffnen und aufhängen lassen!«
    »Gemach, wackerer Chevalier, hier ist eine Dame«, unterbrach MacLaughlin ihn spöttisch. »Sie haben Glück, denn Sie
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