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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit
Autoren: B Akunin
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ist eine entsetzliche Schweinerei. Da ist keiner im Recht oder Unrecht. Gute und Böse gibt es auf beiden Seiten. Nur daß die Guten gewöhnlich als erste draufgehen.«
    »Warum sind Sie dann freiwillig nach Serbien gegangen?« fragte sie heftig. »Es hat Sie doch wohl niemand gezwungen?«
    »Aus egoistischen Erwägungen. Ich war krank und mußte mich kurieren.«
    »Kann man sich im Krieg kurieren?« fragte Warja verwundert.
    »Ja. Der Anblick fremden L-leids macht das eigene erträglicher. Ich kam an die Front zwei Wochen nach der Zerschlagung der Tschernjajew-Armee. Danach bin ich noch durch die Berge gestreift und habe herumgeballert. Gottlob habe ich wohl n-niemanden getroffen.«
    Er will sich interessant machen, oder er ist ein Zyniker, dachte Warja gereizt und sagte giftig: »Wären Sie doch bei Ihrem Kaimakam geblieben. Warum sind Sie geflohen?«
    »Ich bin nicht geflohen. Jussuf Pascha hat mich gehen lassen.«
    »Und was führt Sie nach Bulgarien?«
    »Ich habe etwas zu erledigen«, antwortete er kurz. »Wo wollen Sie eigentlich hin?«
    »Nach Zarewizy, zum Stab des Oberbefehlshabers. Und Sie?«
    »Nach Bela. Dort soll das Hauptquartier Seiner M-majestät sein.« Der Freiwillige verstummte, bewegte mißmutig die dünnen Brauen, holte tief Luft. »Aber ich kann auch zum Oberbefehlshaber gehen.«
    »Wirklich?« rief Warja erfreut. »Oh, lassen Sie uns zusammen gehen, ja? Ich weiß überhaupt nicht, was ich täte, wenn ich Sie nicht getroffen hätte.«
    »W-was schon. Sie hätten sich vom Wirt zur nächsten russischen Truppe bringen lassen, und fertig.«
    »Mich bringen lassen? Von dem Wirt hier?« fragte Warja furchtsam. »Aber das Dorf ist doch muselmanisch?«
    »Ja.«
    »Die würden mich an die Türken ausliefern.«
    »Ich will Sie ja nicht beleidigen, Warwara Andrejewna, aber für die Türken sind Sie gänzlich uninteressant, und von ihrem B-bräutigam hätte der Wirt eine Belohnung bekommen.«
    »Ich gehe lieber mit Ihnen«, flehte Warja, »bitte!«
    »Ich habe nur eine alte Mähre, die schon halbtot ist. Auf der können keine zwei sitzen. An G-geld habe ich drei Kurus 1 . Für Wein und Käse reicht das, aber für mehr nicht. Wir brauchen noch ein Pferd oder wenigstens einen Esel. Das kostet mindestens hundert.«
    Warjas neuer Bekannter verstummte, überlegte etwas, drehte sich nach den Würfelspielern um. Wieder holte er tief Luft.
    »Warten Sie hier. Ich komme gleich wieder.«
    Er ging langsam zu den Spielern, stand fünf Minuten am Tisch und sah zu. Dann sagte er etwas (Warja verstand es nicht), worauf alle das Würfeln einstellten und sich ihm zuwandten. Fandorin zeigte auf Warja, und sie rutschte auf der Bank hin und her unter den auf sie gerichteten Blicken. Plötzlich dröhnte Gelächter, es klang zotig und für Warja beleidigend, aber Fandorin dachte nicht daran, für die Ehre der Dame einzustehen. Statt dessen drückte er einem schnauzbärtigen Dickwanst die Hand und setzte sich auf die Bank. Die anderen rückten beiseite, und um den Tisch sammelte sich ein Häuflein Neugieriger.
    Offenbar hatte sich der Freiwillige ein Spiel ausgedacht. Aber mit was für Geld? Mit seinen drei Kurus? Da würde er lange spielen müssen, um ein Pferd zu gewinnen. Warja war voller Unruhe, sie hatte sich einem Menschen anvertraut, densie überhaupt nicht kannte. Er sah sonderbar aus, sprach sonderbar, handelte sonderbar. Andererseits, hatte sie eine Wahl?
    Die Menge der Gaffer lärmte los – der Dicke hatte geworfen. Dann klapperte es noch einmal, und die Wände erbebten von dem allgemeinen Geheul.
    »Z-zwölf«, sagte Fandorin ruhig und stand auf. »Wo ist der Esel?«
    Der Dicke war auch aufgesprungen, er packte den Freiwilligen am Ärmel und redete, mit den Augen rollend, hastig auf ihn ein.
    »Noch einmal, noch einmal!« rief er immer wieder.
    Fandorin nickte entschlossen, aber seine Nachgiebigkeit stellte den Verlierer nicht zufrieden. Der brüllte immer lauter und fuchtelte mit den Armen. Fandorin nickte wieder, noch entschlossener, da entsann sich Warja der bulgarischen Paradoxie: Nicken bedeutete »nein«.
    Nun wollte der Verlierer von Worten zu Tätlichkeiten übergehen – er holte weit aus, die Gaffer prallten auseinander, aber Fandorin rührte sich nicht, nur seine Rechte war wie von selbst in die Tasche geschlüpft. Das war ganz unauffällig geschehen, doch auf den Dicken hatte es eine magische Wirkung. Er sank in sich zusammen, schluchzte auf und brummelte kläglich. Diesmal schüttelte Fandorin den Kopf,
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