Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine
Autoren: Hans Kneifel
Vom Netzwerk:
weiteres möglich«, sagte Nicholas und stand auf. »Ich bringe Sie bis an den Lichtschalter, sonst brechen Sie sich Hals und Beine. Das würde Ihre Parallelfiguren ärgern.«
    »Au revoir«, sagte Grenelle und drückte Claudines Hand. Sie lächelte ihm zu und blickte ihm nach, wie er zur Tür hinausging und sich bückte; ein großer, schlanker Mann, der tatsächlich den Hauch eines Geheimnisses mit sich herumtrug und trotzdem nett und normal war.
    »Was sagst du zu ihm?« fragte Nicholas, als er zurückkam und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Er blieb neben Claudine stehen und strich ihr über das Haar.
    »Nett, aber ein kleines bißchen verdreht.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Nicholas und zog das Hemd aus. »Es ist heiß hier oben.«
    »Der Kaffee und der Sommer!«
    »Bleibst du hier?« fragte Nicholas zögernd. Das Mädchen nickte.
    »Mein Ruf bei meiner Wirtin ist ohnehin schon ruiniert. Was soll's!«
    »Fein!«
    Sie tranken den Kaffee und saßen auf der Couch, eng aneinandergedrückt. Nach einer Weile stand Nicholas auf, knipste die Lampe und das Radio aus und kam zu ihr zurück. Das Licht, das durch das Fenster hereinfiel, war genug Beleuchtung.
    Um halb fünf wachte Nicholas auf.
    Er sah auf die Uhr, bemerkte, daß es draußen bereits zu dämmern begann und blickte auf das schlafende Mädchen neben sich. Claudines Gesicht mit dem halboffenen Mund und den langen Wimpern lag auf dem Kissen, eingerahmt von Strähnen des schwarzen Haares. Nicholas stand auf, zündete sich eine Zigarette an und ging hinaus, um sich ein Glas Fruchtsaft aus dem Eisschrank zu holen.
    Als er zurückkam und sich ans Bett setzte, öffnete Claudine die Augen. Nicholas stellte das halbvolle Glas auf die Tischkante.
    »Egoist!« murmelte das Mädchen schläfrig.
    Er drehte seinen Arm nach hinten, griff nach dem Glas und setzte es an ihre Lippen. Sie trank einen Schluck, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schlief sofort wieder ein. Nicholas betrachtete sie nachdenklich und lange. Dann drückte er den Zigarettenrest aus und legte sich wieder hin. Einen kurzen Moment, ehe Nicholas endgültig einschlief, dachte er an Grenelle und dessen Thesen.
    Träumte er?
    Wenn ich träume, dachte er undeutlich und verschwommen, werde ich dann das sehen, was mein Bruder aus einer endlosen Reihe von Figuren erlebt? Eigentlich originell.
    Gleichzeitig begann er sich zu fürchten ...
    Grenelle konnte recht haben. Nichts ist unmöglich. Wäre es nicht schön und aufregend zugleich ... Angst vor der Wirklichkeit, die hinter der Einsicht lauerte ... die Gedanken zerbrachen in lauter kleine Splitter. Die Müdigkeit senkte sich wie ein dickes, weiches Tuch, wie ein warmer Mantel über ihn. Nicholas schlief ein ...
    ... und träumte.
     
    *
     
    Aus dem Purpur der Abenddämmerung wurde das Schwarz der Nacht. Der Mann hatte den Wagen weggeschickt, der ihn bis hierher gebracht hatte. Jetzt ragte wie ein steinernes Ungeheuer das Tor vor dem düsteren Himmel empor. Langsam ging der Mann weiter, über die steinerne Brücke, über die Quadern der Straße und in den finsteren Bogen des Tores hinein. Glimmende Holzkohle in einem Kupferbecken leuchtete aus einer Tür. Das Metall eines Panzers schimmerte, während eine harte Stimme fragte:
    »Wer geht hier?«
    Der Mann drehte sich halb um, betrachtete das grimmige Gesicht des Wächters unter dem matten Braun des Lederhelmes und sagte gleichgültig:
    »Anhetes, Baumeister des Königs.«
    »Ich erkenne dich – hoch das Gitter!«
    Die letzten Worte rief der Wächter laut. Männer drehten ein gewaltiges Handrad, dessen Ketten das Gitter aus mächtigen, kupferbeschlagenen Bohlen in die Höhe zogen. Anhetes dankte und bückte sich, um unter den Spitzen hindurchzukommen. Seine Schritte waren fast unhörbar, als er sich aus dem finsteren Torbogen wieder entfernte. Er überquerte den freien Platz jenseits des Stadttores. Auch hier brannten in den Häusern nur wenige Öllampen. Anhetes gedachte des sterbenden Sonnenkönigs.
    Die Straße machte eine weite Biegung. Als Anhetes die Krümmung entlanggegangen war, sah er das gerade Stück der Prozessionsstraße. Sie zog sich von dem Palasttempel bis an dieses Stadttor hin. Die Straße war nur etwas schmaler als achtmal Mannesgröße und stieg zum Palast hin leicht an. An beiden Seiten dieses Mammutweges standen Steinbauten. Es waren Tempel, öffentliche Gebäude, Handelshäuser und die große Bibliothek.
    Die Dunkelheit der Nacht senkte sich über die Stadt.
    Es schien, als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher