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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine
Autoren: Hans Kneifel
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Unruhe auf die Uhr. Irgendwo knackte ein Lautsprecher, und dann sagte eine helle Frauenstimme eine Meldung durch. Es war nicht die Ankündigung der Caravelle aus Brüssel.
    Die Maschine landete Punkt neun Uhr.
    Nicholas begann unruhig auf dem Hocker herumzurutschen, dann beherrschte er sich wieder. Plötzlich fiel ihm sein viertes Traumbild wieder ein.
    Er hatte es in Gedanken Das stählerne Labyrinth genannt. Es war ein verzerrter Schatten eines Menschen, der in eine unirdisch schimmernde Rüstung oder Uniform gekleidet war und durch ein Gewirr von Rohren, Gittern und Schranken floh. Diese Metallwände stellten sich ihm in den Weg, verbarrikadierten die schmalen Pfade, die sich in rechten Winkeln aus dem Hintergrund nach vorn drängten. Ging noch von dem Bild der stauberfüllten Hochebene eine rätselhafte Strahlung auf den Betrachter aus, so ließ dieses vierte Bild nur eine Deutung zu:
    Ausweglosigkeit ...
    Nicholas verscheuchte die Gedanken und drehte sich um. Er sah auf die Schwingtür aus Mattglas, durch die Beatrice hereinkommen mußte. Wenn sie sich an die Verabredung hielt – und es gab keinen Grund, sich nicht daran zu halten. Nicholas begann plötzlich zu zweifeln. Würde das Mädchen kommen? Und wenn, was würde sie tun? Sie hatte, wie er auch, eine Woche Zeit zum Nachdenken gehabt. Zeit genug, sich über den jungen Mann mit den phantastischen Träumen Gedanken zu machen. Nicholas unterdrückte die aufkommende Panik.
    Sie würde kommen, nicht zuletzt wegen des Fiats.
    Sie kam. Es war neun Uhr und zehn Minuten. Nicholas hob die Hand und ging ihr entgegen. Er nahm ihr die Koffer ab und hielt ihre Hand in der seinen.
    »Ich fürchtete. Sie kämen nicht«, sagte er und wurde rot. Beatrice lachte ein bißchen, sah ihn an und sagte:
    »Eine ziemlich absurde Idee!«
    »Ich machte die ganze Zeit über ein grimmiges Gesicht, damit sich niemand auf die freien Plätze setzt«, sagte Nicholas.
    »Das war sehr klug«, sagte sie, »ist es schwergefallen?«
    »Teilweise.«
    Nicholas stellte die Koffer so auf die Trittleiste der Theke, daß er sie im Auge behalten konnte. Beatrice stellte ihre Handtasche auf die Platte und bestellte einen Mocca. Während das Getränk gebracht wurde, zündete Nicholas ihre Zigarette an. Er betrachtete das Mädchen. Er sah das gepflegte, dunkelblonde Haar, die auffallend geraden Wimpern und die blauen Augen. Jetzt wurde ihm klar, warum er das Gesicht nicht hatte zeichnen können. Es war der Mund; er änderte jede Sekunde seinen Ausdruck. Auch das geschwungene Kinn hatte Nicholas anders in Erinnerung. Beatrice erwiderte den Blick.
    »Warum betrachten Sie mich so fasziniert?« fragte sie.
    »Ich habe zwanzigmal versucht, Ihren Kopf zu zeichnen. Es war nicht fertigzubringen. Jetzt kenne ich den Grund.«
    »Ja?« fragte sie.
    »Ihr Gesicht lebt. Es ändert jede Sekunde den Ausdruck. Es wird niemals ein Bild geben, das Ihnen gerecht wird, weder Fotografie noch Gemälde. Höchstens, wenn Sie schlafen.«
    Beatrice trank ihren Mocca aus. »Das tut gut«, sagte sie.
    »Trinken Sie noch fünfzig Tassen«, sagte Nicholas. »Ich zahle alles.«
    »Haben Sie eine Brieftasche gefunden?« erkundigte sich Beatrice.
    »Nein. Ich freue mich nur, neben Ihnen zu sitzen und zu reden.«
    Sie lachte. Ein Mann neben ihr drehte sich um. Nicholas sah ihn grimmig an; der Mann wandte sich wieder seinem Gesprächspartner zu.
    »Reden wir ernsthaft«, sagte Beatrice. »Wie geht es den Träumen?«
    »Ich habe wieder geträumt. Diesmal war es nicht zu schlimm, ich hatte auch keine Verletzung.«
    »Sie wollten mir eine lange Geschichte erzählen«, sagte Beatrice und legte die Zigarette auf den Rand des Aschenbechers. »Nun, ich höre zu. Ich hatte eine Woche lang Zeit, mir zu überlegen, ob Sie Unsinn reden oder nicht.«
    »Und wofür entschieden Sie sich?« fragte Nicholas und hob den Kopf.
    »Dafür, daß es kein Unfug ist.«
    Nicholas blickte sich um und stellte fest, daß niemand zuhören konnte, wenn er leise sprach. Er fing an zu erzählen. Er berichtete von Anfang an, eindringlich, leise und fast beschwörend. Vom Besuch der Caverne und dem Treffen mit Grenelle. Von den Bildern, von den quälenden Gefühlen nach dem Erwachen, davon, was er noch von den Träumen wußte und das, was ihm nachher wieder eingefallen war.
    Nicholas redete von dem Besuch bei Dr. Roger, erläuterte das Ergebnis der Unterhaltung. Er berichtete von den Wunden, deren Herkunft ebenso rätselhaft war wie die der Träume und des Eindrucks, den
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