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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition)
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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schreit zurück, aber da schreit dann der Arzt noch lauter – und da merkt man interessanterweise, wer hier das Sagen hat. Das Sagen hat nämlich eindeutig der Arzt und nicht der Polizist, und ich bin so erschöpft und auch irgendwie glücklich und müde, ich bin von innen wie mit Glück ausgepolstert und schlafe wieder ein, ohne ein Wort zu sagen. Das Glück, stellt sich später raus, heißt Valium. Es wird mit großen Spritzen verteilt.
    Als ich das nächste Mal aufwache, ist alles hell. In den großen Fenstern steht die Sonne. An meinen Fußsohlen wird herumgekratzt. Aha, schon wieder ein Arzt, ein anderer diesmal, und eine Krankenschwester hat er auch wieder dabei. Keine Polizisten. Nur dass der Arzt so an meinen Füßen kratzt, ist nicht angenehm. Warum kratzt der denn so?
    «Er ist aufgewacht», bemerkt die Krankenschwester. Nicht sehr geistreich.
    «Ah, aha.» Der Arzt schaut mich an. «Wie geht es dir?»
    Ich will etwas sagen, aber aus meinem Mund kommt nur: «Pfff.»
    «Wie geht es dir? Weißt du, wie du heißt?»
    «Pfff-fäh?»
    Was ist das denn für eine Frage? Halten die mich für meschugge? Ich schaue den Arzt an, und er schaut mich an, und dann beugt er sich über mich und leuchtet mir mit einer Taschenlampe in die Augen. Ist das ein Verhör? Soll ich meinen Namen gestehen oder was? Ist das hier das Folterkrankenhaus? Und wenn, kann er dann bitte mal kurz aufhören, meine Augenlider hochzuziehen, oder wenigstens so tun, als würde er sich für meine Antwort interessieren? Allerdings antworte ich gar nicht. Weil, während ich noch überlege, ob ich Maik Klingenberg sagen soll oder einfach nur Maik oder Klinge oder Attila der Hunnenkönig – das sagt mein Vater immer, wenn er Stress hat, wenn er den ganzen Tag wieder nur Hiobsbotschaften gehört hat, dann trinkt er zwei Jägermeister und meldet sich am Telefon mit Attila der Hunnenkönig –, ich meine, während ich noch am Überlegen bin, ob ich überhaupt etwas sagen soll oder ob man sich das nicht letztlich sparen kann in dieser Situation, redet der Arzt schon irgendwas von «vier hiervon» und «drei davon», und ich schlafe wieder ein.

3
    Über Krankenhäuser kann man ja viel sagen, aber nicht, dass es da nicht schön ist. Ich bin immer wahnsinnig gern im Krankenhaus. Man macht den ganzen Tag nichts, und dann kommen die Krankenschwestern. Die Schwestern sind alle superjung und superfreundlich. Und sie tragen diese dünnen weißen Kittel, die ich so toll finde, wo man immer gleich sieht, was für Unterwäsche sie anhaben. Warum ich das so toll finde, weiß ich übrigens auch nicht. Weil, wenn jemand mit so einem Kittel auf der Straße rumlaufen würde, würde ich das albern finden. Aber im Krankenhaus ist es toll. Meine Meinung. Das ist ein bisschen wie in Mafiafilmen, wo einen die Gangster immer eine Minute schweigend angucken, bevor sie antworten. «Hey!» Eine Minute Schweigen. «Sieh mir in die Augen!» Fünf Minuten Schweigen. Im richtigen Leben ist das albern. Aber wenn man bei der Mafia ist, eben nicht.
    Meine Lieblingskrankenschwester kommt aus dem Libanon und heißt Hanna. Hanna hat kurzes schwarzes Haar und trägt normale Unterwäsche. Und das ist auch toll: normale Unterwäsche. Diese andere Unterwäsche sieht ja auch immer ein bisschen traurig aus. Bei den meisten. Wenn man nicht gerade die Figur von Megan Fox hat, kann das ziemlich verzweifelt aussehen. Ich weiß nicht. Vielleicht bin ich auch pervers: Ich steh auf normale Unterwäsche .
    Hanna ist eigentlich auch erst Schwesternschülerin, also in der Ausbildung oder so, und wenn sie in mein Zimmer kommt, streckt sie immer zuerst den Kopf um die Ecke und klopft dann mit zwei Fingern an den Türrahmen, das finde ich sehr, sehr höflich, und sie denkt sich jeden Tag einen neuen Namen für mich aus. Erst hieß ich Maik, dann Maiki, dann Maikipaiki, wo ich schon dachte: Alter Finne. Aber das war noch nicht das Ende. Dann hieß ich Michael Schumacher, dann Attila der Hunnenkönig, dann Schweinemörder und zuletzt sogar der kranke Hase . Allein deshalb würde ich am liebsten noch ein Jahr in diesem Krankenhaus bleiben.
    Hanna wechselt jeden Tag meinen Verband. Das tut ziemlich weh, und Hanna tut es auch weh, wie man an ihrem Gesicht sehen kann.
    «Hauptsache, dir macht’s Spaß», sagt sie dann immer, wenn sie fertig ist, und ich sage dann immer, dass ich sie später wahrscheinlich einmal heiraten werde oder so was. Aber leider hat sie schon einen Freund. Manchmal kommt sie auch einfach
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