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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition)
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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eigentlich Psycho? Der ist doch total langweilig.» Laura und Marie haben sich weggeschmissen über diesen Spitzenwitz, und weil das so ein großer Erfolg war, hat André seinen Satz gleich nochmal wiederholt: «Ja, echt, warum heißt die Schlaftablette eigentlich Psycho?» Und seitdem heiße ich wieder Maik. Und es ist noch schlimmer als vorher.

8
    Es gibt ziemlich viele Sachen, die ich nicht kann. Aber wenn ich was kann, dann ist das Hochsprung. Ich meine, ich bin kein olympiamäßiger Crack oder so, aber im Hochsprung und im Weitsprung bin ich fast unschlagbar. Obwohl ich einer der Kleinsten bin, komm ich so hoch wie Olaf, der einen Meter neunzig ist. Im Frühjahr hab ich einen Schulrekord für die Mittelstufe aufgestellt und war wahnsinnig stolz. Wir waren auf der Hochsprunganlage, und die Mädchen saßen nebenan im Gras, wo ihnen Frau Beilcke einen Vortrag gehalten hat. Das ist der Sportunterricht bei denen: Frau Beilcke hält einen Vortrag, und die Mädchen sitzen um sie rum und kratzen sich an den Fußknöcheln. Sie laufen auch nicht dauernd um den Platz wie bei Wolkow.
    Wolkow ist unser Sportlehrer, und natürlich hält der auch gern Vorträge. Alle Sportlehrer, die ich bisher hatte, lassen unglaublich viel Text raus. Bei Wolkow ist das montags immer die Bundesliga, dienstags meistens auch noch Bundesliga, mittwochs die Champions League und freitags kommt schon wieder die Vorfreude auf die Bundesliga und die Analyse. Im Sommer kann Wolkow auch mal seine Meinung über die Tour de France äußern, aber das kommt über das Thema Doping dann auch immer schnell zurück zum sehr viel wichtigeren Thema, warum im Fußball schönerweise nicht gedopt wird. Weil es da nämlich nichts nützt . Das ist Wolkows ehrliche Meinung. Und das hat auch noch nie jemanden interessiert, aber das Problem ist: Wolkow redet nur, während wir um den Platz joggen. Er hat eine Wahnsinnskondition, er ist garantiert schon siebzig oder so, zuckelt aber immer frisch vorneweg und quatscht und quatscht. Und dann sagt er immer: «Männer!» Und dann sagt er zehn Meter nichts und dann: «Dortmund.» Zehn Meter. «Packt es nicht.» Zehn Meter. «Die Heimbilanz. Stimmt’s oder hab ich recht?» Zwanzig Meter. «Und van Gaal, der alte Fuchs! Das wird kein Spaziergang.» Param, param. «Eure Meinung?» Hundert Meter. Und natürlich sagt keiner was, weil wir schon zwanzig Kilometer gelaufen sind, und nur Hans, der Nazi, der Fußballtrottel, der schwitzend hinterm Feld herkeucht, brüllt manchmal: «Ha-ho-he! Hertha BSC!» Und dann wird es selbst Wolkow zu viel, Schwafelwolkow, und er dreht eine Extraschleife, damit Hans wieder aufschließen kann, und dann hebt er den Zeigefinger und ruft mit zitternder Stimme: «Simunic! Joe Simunic! Kardinalfehler», und Hans ruft von hinten: «Ich weiß, ich weiß!», und Wolkow zieht das Tempo wieder an und murmelt: «Simunic, mein Gott! Das Bollwerk. Nie verkaufen. Abstieg. Simunic.»
    Und allein schon deshalb kann man wahnsinnig froh sein über Hochsprung. Vielleicht haben wir aber auch nur Hochsprung gemacht an diesem Tag, weil Wolkow eine extrem schlimme Halsentzündung hatte und sowieso nicht gleichzeitig joggen und schwafeln konnte, sondern nur joggen. Wenn Wolkow eine mittelschwere Halsentzündung hat, schwafelt er etwas weniger. Wenn Wolkow tot ist, fällt der Unterricht aus. Aber wenn er eine extrem schlimme Halsentzündung hat, joggt er einfach lautlos um den Platz.
    Beim Hochsprung hat er dann die ganze Zeit unsere Leistungen in sein schwarzes Notizbüchlein eingetragen und mit den Daten vom Vorjahr verglichen und uns immer zugekrächzt, letztes Jahr wären wir aber fünf Zentimeter höher gekommen. Neben der Hochsprunganlage saßen die Mädchen, wie gesagt, und hörten Frau Beilcke zu. In Wahrheit hörten sie natürlich nicht zu, sondern guckten zu uns rüber.
    Tatjana hockte mit ihrer besten Freundin Natalie ganz am Rand. Sie hockten da und tuschelten. Und ich saß wie auf glühenden Kohlen. Ich wollte unbedingt drankommen, bevor Frau Beilcke mit ihrem Sermon zu Ende war. Tollerweise machte Wolkow auch gleich Wettkampf: Eins zwanzig Höhe, wer nicht drüberkam, war raus. Dann fünf Zentimeter höher und so weiter. An eins zwanzig scheiterte nur Heckel. Heckel hat einen Fettbauch, hatte er schon in der Fünften, und dazu Streichholzbeine. Es ist nicht die ganz große Überraschung, dass er keinen Zentimeter vom Boden abheben kann. Eigentlich ist er in keinem Fach besonders gut, aber in Sport ist er
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