Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TS 76: Eine Handvoll Dunkelheit

TS 76: Eine Handvoll Dunkelheit

Titel: TS 76: Eine Handvoll Dunkelheit
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
stand auf und ging aus dem Zimmer. Wie lange war ich weg? Nicht lange oder?“ Er suchte nach Worten, aber sein Gehirn war wie ein Labyrinth zusammenhangloser Gedanken. „Ich saß mit euch allen am Frühstückstisch, und dann stand ich auf, um die Zeitung zu holen. Stimmt’s? Und dann kam ich wieder zurück. Stimmt’s?“ Seine Stimme war lauter geworden. „Ich stand heute morgen auf und rasierte mich. Ich frühstückte. Toast und Kaffee. Schinken. Stimmt’s?“
    „Stimmt“, nickte Ted. „Und?“
    „Wie immer.“
    „Wir haben nur am Freitag Toast.“
    Miller nickte langsam. „Ja, das stimmt. Toast am Freitag, weil Onkel Frank Samstag und Sonntag mit uns ißt, und er mag Toast nicht, deshalb essen wir so etwas am Wochenende nicht. Frank ist Marjories Bruder. Er war im ersten Weltkrieg bei der Marineinfanterie. Er war Korporal.“
    „Wiedersehen“, sagte Ted, als Don herauskam. „Bis heute abend.“
    Die Schulbücher unter den Arm geklemmt, eilten die beiden Jungen auf das große, moderne Schulgebäude im Zentrum von Berkeley zu.
    Miller trat wieder ins Haus und begann automatisch, im Schrank nach seiner Aktentasche zu suchen. Wo war sie? Verdammt, er brauchte sie. Sämtliche Akten über die Angelegenheit Phrock Morton waren in ihr – Davidson würde ihm den Kopf abreißen, wenn er sie irgendwo liegengelassen hatte, wie damals in dem Café, als sie alle den Sieg der Yankees gefeiert hatten. Wo zum Teufel war sie nur?
    Er richtete sich langsam auf, als ihm die Erinnerung kam. Natürlich. Er hatte sie auf seinem Schreibtisch liegenlassen, als er sie dorthin geworfen hatte, nachdem er die Studierbänder herausgenommen hatte, während Fleming mit ihm gesprochen hatte. In der Geschichtsagentur.
    Er ging zu seiner Frau in die Küche. „Hör mal“, sagte er leise. „Marjorie, ich glaube, ich gehe heute nicht ins Büro.“
    Marjorie wirbelte erschreckt herum. „George, ist etwas nicht in Ordnung?“
    „Ich – ich bin völlig konfus.“
    „Dein Heuschnupfen?“
    „Nein. Mein Kopf. Wie hieß doch dieser Psychiater, den Mrs. Bentley uns empfohlen hat?“ Er dachte nach. „Grunberg, glaube ich. Im Ärztehaus.“ Er ging auf die Tür zu. „Ich fahre dort vorbei und suche ihn auf. Irgend etwas stimmt nicht – und ich weiß nicht, was es ist.“
     
    *
     
    Adam Grunberg war ein großer, breitschultriger Mann Ende der Vierzig mit gewelltem, braunem Haar und einer Hornbrille. Nachdem Miller mit seiner Erzählung geendet hatte, räusperte sich Grunberg, wischte sich ein imaginäres Stäubchen vom Anzug und fragte:
    „Ist etwas geschehen, während Sie die Zeitung holten? Vielleicht ein Unfall? Versuchen Sie doch einmal, mir diese Episode in allen Details zu schildern. Sie standen also vom Frühstückstisch auf, gingen auf die Veranda hinaus und suchten zwischen den Rosen. Und was dann?“
    Miller rieb sich über die Stirn. „Ich weiß nicht. Es ist alles so konfus. Ich erinnere mich nicht daran, die Zeitung gesucht zu haben. Ich erinnere mich nur daran, wieder ins Haus zurückgekommen zu sein. Und dann wird es klar. Aber vorher ist alles mit der Geschichtsagentur und meinem Streit mit Fleming verknüpft.“
    „Wie war das noch einmal mit Ihrer Aktentasche? Beschreiben Sie mir das noch einmal.“
    „Fleming sagte, sie sähe aus wie eine zerquetschte Echse aus der Jurazeit. Und ich sagte …“
    „Nein. Ich meine, wie Sie sie im Schrank gesucht und nicht gefunden haben.“
    „Ich sah in den Schrank, und da war sie natürlich nicht. Sie steht neben meinem Schreibtisch in der Geschichtsagentur. Im Stockwerk z wanzigstes Jahrhundert. In meiner Ausstellung.“ Millers Augen weiteten sich plötzlich. „Großer Gott, Grunberg. Ist Ihnen klar, daß das alles vielleicht nur ein Ausstellungsstück ist? Sie und alle anderen hier – vielleicht sind Sie gar nicht echt? Nur ein Teil dieser Ausstellung?“
    „Das wäre nicht sehr angenehm für uns, nicht wahr?“ sagte Grunberg mit einem schwachen Lächeln.
    „Leute in Träumen sind immer sicher, bis der Träumer erwacht“, erwiderte Miller.
    „Dann träumen Sie mich also“, lachte Grunberg. „Ich glaube, dafür sollte ich Ihnen dankbar sein.“
    „Ich bin nicht hier, weil ich Sie besonders gut leiden kann. Ich bin hier, weil ich Fleming und die ganze Geschichtsagentur nicht ausstehen kann.“
    Grunberg überlegte. „Dieser Fleming. Erinnern Sie sich, daß Sie an ihn gedacht haben, ehe Sie hinausgingen, um die Zeitung zu holen?“
    Miller stand auf und ging in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher