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Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman

Titel: Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman
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Nachbar? Jeder vernünftige Mann würde seine Stereoanlage nach einem kurzen Gespräch mit Frances Neagley verkaufen. Oder einer Wohltätigkeitsorganisation spenden. Drogenhändler an ihrer Straßenecke? Die würden als kleine Meldung im Innenteil der Morgenzeitung enden: Leichen in einer Gasse aufgefunden, mehrfache Stichwunden, vorerst noch keine Verdächtigen. Ein Stalker? Ein Grapscher im L-Train? Reacher lief ein kalter Schauder über den Rücken. Neagley hasste es, angefasst zu werden. Er wusste nicht, weshalb. Aber jeder über eine zufällige Berührung hinausgehende Körperkontakt mit ihr würde einem Kerl einen gebrochenen Arm einbringen. Vielleicht sogar zwei gebrochene Arme.
    Was war also ihr Problem?
    Eine ganze Liste mit Namen. Vielleicht hatte ihre Vergangenheit sie eingeholt. Reacher hatte das Gefühl, seine Militärzeit liege sehr lange zurück. Eine andere Ära, eine andere Welt. Mit anderen Regeln. Vielleicht beurteilte jemand da malige Ereignisse nach heutigen Maßstäben und beschwerte sich über irgendetwas. Vielleicht hatte eine lange hinausgeschobene interne Untersuchung begonnen. Reachers Sonderermittler hatten viele Verfahren abgekürzt, oft mit brutalen Mitteln gearbeitet. Irgendjemand, vielleicht Neagley selbst, hatte einen Slogan erfunden: Mit den Sonderermittlern legt man sich nicht an. Das war als Versprechen, als Warnung endlos wiederholt worden. Ausdruckslos und todernst.
    Vielleicht hatte sich jetzt jemand mit den Sonderermittlern angelegt. Vielleicht hagelte es Vorladungen und einstweilige Verfügungen. Aber wieso sollte Neagley ihn in diese Sache hineinziehen? Er lebte ungefähr so anonym, wie das in Amerika überhaupt möglich war. Würde sie sich nicht einfach dumm stellen und ihn unbehelligt lassen?
    Er schüttelte den Kopf, gab auf und ging an Bord seines Flugzeugs.
    Unterwegs nutzte er die Zeit, um sich zu überlegen, wo Neagley sich verkrochen haben mochte. Früher hatte es zu seinem Job gehört, Leute aufzuspüren, und er war darin ziemlich gut gewesen. Erfolg beruhte auf Empathie. Man musste wie sie denken, wie sie fühlen. Sehen, was sie sahen. Sich in ihre Lage versetzen. Sie sein .
    Bei Soldaten, die sich unerlaubt von der Truppe entfernt hatten, war das natürlich leichter. Ihre Ziellosigkeit machte ihre Entscheidungen umso durchsichtiger. Und sie flüchteten vor etwas, waren nicht zu etwas unterwegs. Dabei verfielen sie oft in einen unbewussten geografischen Symbolismus. Waren sie aus Osten in eine Stadt gekommen, verkrochen sie sich im Westen. Sie wollten möglichst viel Masse zwischen sich und ihre Verfolger bringen. Hatte Reacher eine Stunde mit einem Stadtplan, einem Busfahrplan und den Gelben Seiten verbracht, konnte er häufig vorhersagen, in welchem Straßenblock er die Flüchtigen finden würde. Sogar in welchem Motel.
    Bei Neagley war das schwieriger, weil sie irgendwohin unterwegs war. In einer Privatangelegenheit, deren Hintergründe er nicht kannte. Also zurück zum Grundsätz lichen. Was wusste er über sie? Was würde der entscheidende Faktor sein? Nun, sie war sehr preisbewusst. Nicht weil sie arm oder geizig war, sondern weil sie nicht gern Geld für etwas ausgab, das sie nicht brauchte. Und sie brauchte nicht viel. Sie brauchte keine aufgeschlagene Bettdecke oder ein Stück Schokolade auf dem Kopfkissen. Sie brauchte keinen Zimmerservice oder den morgigen Wetterbericht. Sie brauchte keinen flauschigen Bademantel oder in Zellophan versiegelte kostenlose Frotteepantoffeln. Sie brauchte nur ein Bett und eine Tür, die sich absperren ließ. Und Menschenmassen und Schatten und anonyme, von niedrigen Mieten und häufigen Mieterwechseln geprägte Viertel, in denen Barkeeper und Motelangestellte ein kurzes Gedächtnis hatten.
    Folglich kam die Innenstadt nicht infrage. Beverly Hills ebenfalls nicht.
    Wo also? Wo würde sie sich in der Weitläufigkeit von L.A. wohlfühlen?
    Dort standen fast vierunddreißigtausend Straßenkilometer zur Auswahl.
    Reacher fragte sich: Wo würde ich hingehen?
    Hollywood, antwortete er. Etwas südöstlich von dem guten Zeug. Auf der falschen Seite des Sunset Boulevards.
    Dort würde ich hingehen, dachte er.
    Und dort wird sie sein.
    Das Flugzeug landete etwas verspätet in LAX , lange nach Mittag. An Bord hatte es keine Mahlzeit gegeben, und Reacher war hungrig. Bei Samantha, der Staatsanwältin in Portland, hatte es zum Frühstück Kaffee und Vollkornbrötchen gegeben, aber das schien eine Ewigkeit zurückzuliegen.
    Er machte keine
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