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Tropismen

Tropismen

Titel: Tropismen
Autoren: Nathalie Sarraute
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öffnete es seinen Klappstuhl, stellte ihn an ihre Seite, kauerte sich darüber und fing an, die Erde aufzukratzen und Haufen von trockenen Blättern und Steinchen zusammenzuscharren.
    Ihre Worte, in die beunruhigenden Düfe des erbärmlichen Frühlings gemischt und voll Schatten, in denen sich verworrene Formen bewegten, hüllten es ein.
    Die schwere Luf, wie von feuchtem Staub und von Säfen klebrig, schmiegte sich an, hing an seiner Haut, an seinen Augen.
    Es weigerte sich, weiter weg von ihnen mit anderen Kindern auf der Wiese zu spielen. Es blieb da, klebte an ihnen, und ganz unheimliche Gier, sog es ein, was sie sagten.

XVIII

    Es ist in der Umgebung von London, in einem Sommerhaus mit Perkal-Vorhängen, hinten der kleine Rasen, sonnenbeschienen und durch und durch regennaß.
    Die große Glastür des Studios, umgeben von Glyzinien, geht auf diesen Rasen.
    Eine Katze sitzt ganz aufrecht, die Augen geschlossen, auf dem warmen Stein.
    Ein Fräulein in weißen Haaren, mit rosigen, ein wenig veilchenblauen Wangen, liest vor der Tür in einem englischen Magazin.
    Sie sitzt da, ganz steif, ganz würdig, sie kann auf sich und die anderen baun, ist auf Dauer eingerichtet in ihrer kleinen Welt. Sie weiß, daß man in wenigen Minuten die Glocke zum Tee läuten wird.
    Unten, vor dem Tisch mit weißem Wachstuch, putzt die Köchin Ada das Gemüse. Ihr Gesicht ist unbeweglich, sie scheint an nichts zu denken. Sie weiß, daß es bald Zeit sein wird, die »buns« zu rösten und die Glocke zum Tee zu läuten.

XIX

    Er war glatt und flach: zwei ebene Seiten – seine Wangen, die er ihnen abwechselnd bot und auf die sie mit spitzen Lippen einen Kuß setzten. Sie nahmen ihn und rieben ihn, drehten ihn nach allen Seiten um, traten ihn, rollten sich auf ihm, wälzten sich. Er mußte sich drehen, und da, dort, und dort zeigten sie ihm augentäuschende Dinge, falsche Türen, falsche Fenster, auf die er gläubig zuging und an denen er sich stieß, sich weh tat.
    Seit eh und je wußten sie, wie sie ihn zur Gänze in Besitz nehmen konnten, ohne ihm etwas Luf zu lassen, ohne die kleinste Atempause, wie sie ihn bis zum letzten Krümchen verschlingen konnten. Sie maßen ihn in entsetzlichen Teilungen, zwängten ihn in Vierecke, sie durchmaßen ihn nach allen Richtungen; manchmal ließen sie ihn laufen, ließen ihn los, aber sobald er sich zu weit entfernte, griffen sie ihn wieder, bemächtigten sie sich seiner aufs neue. Von Kindheit an hatte er Geschmack gefunden an diesem Gefressenwerden – er streckte sich, genoß ihren scharfen und süßlichen Geruch, bot sich an.
    Die Welt, in der sie ihn eingeschlossen hatten, wo sie ihn von allen Seiten einkreisten, war ohne Ausgang. Überall war ihre grausame Helle, ihr blendendes Licht, das alles einebnete, das die Schatten und die Unebenheiten unterdrückte. Sie kannten sein Gefallen an ihren Berührungen, seine Schwäche, und so schämten sie sich nicht. Sie hatten ihn ordentlich ausgeräumt und vollgepropf und zeigten ihm überall andere Puppen, andere Strohpuppen. Er konnte ihnen nicht entkommen. Er konnte ihnen nur höflich die zwei glatten Flächen seiner Wangen zuwenden, eine nach der anderen, für ihren Kuß.

XX

    Als er klein war, da richtete er sich nachts in seinem Bett auf und rief. Sie Hefen herbei, machten Licht, sie nahmen die weiße Wäsche, die Handtücher, die Kleider auf und zeigten sie ihm. Da war nichts. Die Wäsche wurde in ihren Händen harmlos, schrumpfte zusammen, im Licht erstarrte sie und wurde leblos.
    Jetzt, da er groß war, ließ er sie noch immer kommen, ließ sie überall hinschauen, in ihm selbst suchen, die Ängste, in die Winkel seines Innern geduckt, entdecken, in die Hand nehmen und bei Licht prüfen.
    Sie hatten die Gewohnheit, einzutreten und herumzublicken, und er ging ihnen voraus, er machte selbst überall Licht, damit er nicht fühlte, wie ihre Hände in der Dunkelheit tasteten. Sie schauten – während er unbeweglich blieb, nicht zu atmen wagte –, aber nirgends war etwas, nichts, was erschrecken konnte, alles schien in guter Ordnung, an seinem Platz, überall erkannten sie die vertrauten, seit langem bekannten Gegenstände, und sie zeigten sie ihm. Wovor hatte er Furcht? Manchmal schien da oder dort, in einer Ecke, irgend etwas vage zu zittern, leicht zu vibrieren, aber mit einem Klaps brachten sie es ins Gleichgewicht, das war nichts, eine seiner häufigen Befürchtungen – sie nahmen sie, und sie zeigten sie ihm: die Tochter seines Freundes war
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