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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean
Autoren: Subina Giuletti
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Tag meine Übungen mache“.
    „Ich bin glücklich, wenn ich xyz Dollar im Monat verdiene“.
    Es war vier Uhr morgens. Ich war ausgelaugt. Verzweifelt. Ich hatte Hunger. Seit 20 Stunden waren wir in diesem verdammten, eisgekühlten, ewig dunklen Seminarraum gefangen. Mir war so kalt, innen wie außen, trotz des blöden Sweatshirts und der Socken, die ich gekauft hatte und die ich nun zu einem roten Sommerkleid trug, um die Kälte in diesem Saal aushalten zu können.
    Der Buddy saß mir gegenüber und achtete darauf, dass ich auch ja alle meine Vorsätze fein säuberlich auf das Plakat verewigte. Die andern waren mit Hingabe bei dieser Aufgabe, malten sich ihre Zukunft mit farbigen Stiften, mit Blumen und Herzen umrandet - und ich, ich fühlte mich so fremd, so wenig verwandt mit diesen eifrigen Menschen hier, die sich so gerne und freiwillig aufpumpen ließen. Meine Kehle schnürte sich zu. Alles in mir war voller Widerwillen.
    Und plötzlich fühlte ich Wut. Sie lungerte unten in meinem Magen und kam so schnell hoch, dass ich unwillkürlich die Hand vor den Mund hielt, um nicht zu kotzen. Und Wut war es, die meine Kiefer zusammenpresste und mir glasklare Gedanken in den Kopf katapultierte. 
    Wie schnell war die Wirkung des ersten Seminars verflogen? Wie schnell hatte ich den Kauf des zweiten bereut? Überscharf sah ich mein unfertiges Plakat vor mir und stellte mir vor, wie es wäre, dies in ein paar Tagen in Deutschland in den Händen zu halten – wie leer all diese Vorsätze dann für mich klingen würden, so weit entfernt von der sorgsam geschürten Euphorie des Seminarleiters.
    Die Wut stieg weiter, kroch in meinen Kopf, in meine Augen. Instinktiv blickte ich nach unten. Dies alles hier war nur Schall und Rauch, Ego-Befriedigung, Weltflucht - diese Erkenntnis überfiel mich mit einer unfassbaren Wucht. Gleichzeitig spürte ich tief in mir drin etwas anderes, Mächtigeres – es war, als ob diese Autorität eine Tür in mir aufstieß, zu etwas, wonach ich mich verzehrte. Ich spürte auf einmal eine kaum zu ertragende Sehnsucht,  nach - ich weiß nicht was. Sah wieder auf das Plakat, die billigen Sätze, die ich pflichtbewusst aus mir heraus geleiert hatte – und da hakte es aus.
    Entschlossen warf ich die Stifte auf den Boden und stürmte Richtung Tür. Ein Arm hielt mich fest. Mein Buddy.
    „Du kannst nicht gehen“, sagte sie gebieterisch.
    „Wer sagt das?“ biss ich zurück.
    „Keiner darf den Raum verlassen“.
    „Ich verlasse ihn aber“, zischte ich und riss an der Hand, die mich festhielt. 
    „Bleib hier... ich... wo willst du denn hin?“
    „Einfach raus!“ sagte ich mit Tränen in den Augen. „Nur raus, verstehst du?“
    „Das ist jetzt ein wichtiger Prozess, der bei dir abläuft, renn jetzt nicht weg. Geh da durch... danach wirst du verstehen“.
    Ich zögerte. Vielleicht war es ja wirklich so, dass ein Knoten bei mir platzte, wenn ich nur lang genug durchhielt? Ich blickte auf den schmalen Spalt der Tür, durch den das Licht fiel, dachte an den halbdunklen Raum, an das eiskalte Spinatgesöff, daran, dass wahrscheinlich wieder nur eine mit Musik untermalte einstudierte Rede des Seminarleiters folgen würde und sagte zu meiner Überraschung mit fester Stimme:
    „Lass mich los, ich gehe. Ich werde die letzten Tage die Sonne hier genießen.“
    „Oh, bitte“, flehte mein Buddy. „... lass uns drüber reden...“
    „Nein!“ rief ich wütend mit unterdrückter Stimme. „Ich will nicht reden, ich will raus!“
    „Oh Gott“, stieß sie hervor. „Was hab ich falsch gemacht?“
    Und mit Erstaunen erkannte ich, dass sie ebenso wie ich total unter Druck stand und ihr Erfolg von mir und meinem Verhalten abhing. Ich schüttelte ihren Arm ab. Sie fasste nach, hektisch, herrisch. „Du bleibst hier!“
    „Verpiss dich!“ fauchte ich und riss meinen Arm frei. Stieß endlich die Tür auf und lief im Laufschritt nach draußen.
     
    Da war das Foyer, von mildem Morgenlicht durchdrungen, die Tische mit den ach so erstrebenswerten Artikeln. Tassen, T-Shirts, Blöcke, Stifte, Anhänger... ich lief an ihnen vorbei, nach draußen, streifte Schuhe und Socken ab, lief durch die Gartenanlage des Hotels, in die sandige, steinige Wüste, Gestrüpp, rau unter meinen Füßen, das Hotel, den mich verfolgenden Buddy, die laute Musik, die Massen an Menschen hinter mir lassend. Sowie ich die unzivilisierte Natur erreicht hatte, verstummten die Rufe und die wummernden Bässe. Ich war allein. Endlich. Endlich.
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