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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean
Autoren: Subina Giuletti
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gerülpst, ehrlich.
    „Das kann jeder“, entgegnete der Seminarleiter trocken. „Auch du. Das Mikro ist genau vor dir. Lass einen fahren! Egal, aus welchem Ausgang!“
    Sie öffnete den Mund, aber nur um zu protestieren. Das ging ein paar Minuten so, dann bekam sie Unterstützung vom Publikum. Männer setzten gewaltige Bäuerchen ins Mikro und überboten sich gegenseitig.
    „Ja, ihr seid Männer!“ kreischte die Italienerin verzweifelt. Worauf natürlich eine Frau aufstand, deren überaus prächtiger Rülpser uns in sattem Ton über die überdimensionalen Lautsprecher erreichte. Fassungslos schaute sich die Delinquentin um. Alle starrten auf sie und gedrängt von all der Aufmerksamkeit göggelte sie ein paar mickrige Laute ins Mikro, was aber der Chef nicht gelten ließ. Schließlich drückten sie ihr eine Cola in die Hand und nachdem das immer noch nicht fruchtete, musste sie mit ein paar Assistenten in die Damentoilette verschwinden, um zu üben.
    Nach einer Stunde kam sie wieder und raunzte brav ein dünnes Bäuerchen ins Mikro. Der Saal applaudierte und johlte, als habe sie ein Baby aus einem flammenden Haus gerettet. Das Erstaunliche aber war, dass die Italienerin wie umgewandelt war. Sie lachte wie verrückt, machte sich über sich selbst lustig, weil sie vorher alles so schwer genommen hatte und war fest überzeugt, ihrer Misere mit einem simplen Ausstoß aus dem Verdauungstrakt ein Ende gesetzt zu haben.
    Ich hätte alles dafür gegeben, zu erfahren, wie es ihr nach dem Seminar ergangen war.
    Dieses nahm seinen Lauf. Die verschiedenen Nationalitäten im Raum waren in Gruppen geordnet und jede dieser Gruppen durfte im Wechsel während des Seminars vorne in unmittelbarer Nähe des Seminarleiters sitzen. Dort mussten sie besonders laut jubeln und schreien, denn es winkte eine Riesenchance: Wenn sie lauter und enthusiastischer waren als die anderen, hatten sie sich einen weiteren privilegierten Aufenthalt an der Bühne verdient! Wow! Mann! Wie toll! Wir reservierten Deutschsprachigen taten uns damit etwas schwer und wurden somit innerhalb von nur einer Sequenz wieder auf die hintersten Ränge verbannt, wo uns der Buddy, der uns vorher entsprechend instruiert hatte, strafend ansah.
    Überhaupt war Schreien ein zwingendes Mittel. Eines, das mich unendlich erschöpfte und mich nicht wie all die anderen zu weiterem Enthusiasmus anfeuerte, sondern buchstäblich in die Verzweiflung trieb. Es war so schrecklich laut! Es waren so viele Menschen hier! Es wurde geschubst, gerempelt, gedanced und geschrien. Dauernd wurden wir zu irgendwelchen Parolen und Affirmationen aufgefordert, die wir wie die Schulkinder im Chor brüllen mussten. Je lauter desto besser. Auf die Brust klopfen! Verankern! Am Schluss reicht diese Geste, weil damit der Schrei und das neue Glaubensmuster innerlich ablaufen. Wie bei Pawlow. Gott, dachte ich mir, sind wir nix anderes als programmierbare Tiere? Der Text der Parolen erschien mir affig, ich kam mir immer gekünstelter, vor allem immer ausgegrenzter vor.
    Erschöpfung machte sich in mir breit. Der Schlafmangel forderte seinen Tribut, die Kälte, vor allem aber kroch dieses Versagensgefühl in mir hoch, wie eine schwarze Tentakel. Jeder hier im Raum genoss das alles, nahm mit, was er konnte, nur ich nicht. Ich fühlte mich so fremd, so nutzlos! Das viele Geld, das das Seminar verschlungen hatte, nagte an mir, mein Konto, das deswegen nun in den roten Zahlen hing... die Angst, dass der Automat beim nächsten Versuch, Geld abzuheben, meine Karte verschlang und ich dann mit dem Banker sprechen musste...  . Mir wurde heiß, als ich daran dachte, dass dieses Seminar nichts daran ändern würde, dass es mich nicht änderte – was ich ursprünglich erhofft hatte und was die einzige Möglichkeit für einen Wechsel gewesen wäre – das war mir wohl bewusst.
    Ich war müde. Sehnte mich Wärme... hasste diese peinlichen Übungen, das Unechte, das Theater, das da auf der Bühne präsentiert wurde. Das war nicht das, was ich wollte. Absolut nicht. Das klärte nicht all meine Fragen, meine Probleme und schon gar nicht diese tiefsitzende Sehnsucht.
    Schließlich und endlich wurden wir aufgefordert, ein Plakat zu malen, Vorsätze, die wir für den Rest unseres Lebens einhalten sollten und mir wurde geradezu schlecht, als der Buddy mir Stifte in die Hand drückte und ostentativ neben mir sitzen blieb.
    „Ich bin glücklich, wenn ich dies und jenes erreicht habe.“
    „Ich bin glücklich, wenn ich jeden
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