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Tristan

Tristan

Titel: Tristan
Autoren: Martin Grzimek
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seinen Körper abzutasten schien, und musste feststellen, dass seine Hände bis zum Ansatz der Unterarme aus den Rockärmeln herausschauten. Auch die Hosen schienen kürzer geworden zu sein. Floräte griff mit beiden Händen in seine lockigen Haare und legte sie ihm wie einem Mädchen über die Schulter. »Dein Gesicht ist länger und schmaler geworden«, sagte sie dabei.
    »Und noch hübscher«, ließ sich Merla mit unterdrückter Stimme hören und musste kichern.
    »Lass das!« Floräte schlug einen scharfen Ton an, die Magd verstummte sofort. Seit die Geschichte mit Elbeth passiert war, fürchteten alle Mägde auf der Burg Floräte, denn jeder glaubte, Elbeth sei für das verloschene Feuer bestraft worden, und niemand verstand, warum man ihr deshalb die Zunge herausgeschnitten hatte. »Steh nicht so dumm herum«, fuhr Floräte Merla an, »hol die Schneiderin!«
     
    Ein Hut mit Federn ~14~ Der Besuch
     
    Es dauerte nur zwei Tage, und Tristan trug neue Kleider. Tanjana, die Schneiderin, war eine alte Frau, aber sie hatte flinke Finger und blitzblanke Augen. Tristan bekam einen roten Samtrock und blaugrüne Hosen. Es wurden auch Schuhe angefertigt. Jetzt sah er aus wie ein kleiner Prinz. Floräte war entzückt, Merla klatschte in die Hände, als sie ihn zum ersten Mal in seiner neuen Gewandung sah. Nur Edwin lachte ihn aus: »Wie willst du in diesen Kleidern spielen gehen?«
    Tristan achtete nicht darauf. Ihm gefiel vor allem, dass die Kleidungsstücke nicht mehr zu kurz waren und er sich nicht in das Hemd hineinzwängen musste. Er wurde auch von den Leuten draußen auf dem Hof und beim Brunnen und von den Wachen anders gegrüßt. Alle lächelten freundlich, wenn sie ihn sahen, und manch eine Magd machte sogar einen verstohlenen Knicks vor ihm. »Mammo«, sagte er deshalb zu Floräte, als sie wieder zur Schneiderin gingen, weil noch ein Umhang angefertigt werden sollte, »Mammo«, so nannte er sie, wenn er in aller Vertraulichkeit mit seiner Mutter sprechen wollte, und dabei schmolz ihr Herz dahin, »jetzt wünsche ich mir noch einen Hut mit einer Feder.«
    Floräte blieb vor Erstaunen stehen. Sie sah auf Tristan hinab, betrachtete ihn mit wohlwollendem Blick und antwortete: »Ein Hut mit einer Feder - warum nicht?«
    Und wieder vergingen nur ein paar Tage, bis Tristan wie ein französischer Reiter ausgestattet war, mit Hut und Feder und wehendem Mantel. So versuchte Floräte wiedergutzumachen, was sie ihrem Ziehsohn angetan hatte, indem sie Elbeth von seiner Seite riss.
    Tristan dachte darüber nicht nach. Ihm gefiel seine Verkleidung, und er glaubte, dass er das alles nur der goldenen Kugel zu verdanken hatte. Eines Nachts holte er sie wieder aus ihrem Versteck hervor und setzte sich dabei seinen Hut auf. Da rollte ihm die Kugel aus der Hand und fiel auf die Decke. Er griff nach ihr, um sie festzuhalten, aber sie entglitt seinen Händen. Wieder wollte er sie fassen, doch sie ließ sich nicht festhalten. Tristan erschrak. Was er bewachen sollte, wollte nicht bei ihm bleiben. Er überlegte, nahm den Hut ab und tat ihn beiseite. Jetzt hob er erneut die Kugel auf. Sie blieb in seiner Hand liegen, schien sich regelrecht in die Höhlung einzuschmiegen. Das ist es also, dachte er, setzte den Hut auf, und sofort rollte die Kugel davon. Noch ein paarmal übte er dieses Spiel mit Festhalten und Verlorengehen, bis er die Kugel in die Nische zurücktat und sorgfältig das bemalte Holz darüberlegte.
    Am anderen Morgen wurde er durch laute Rufe Merlas geweckt. Er kroch aus dem Bett und wollte wissen, was passiert sei.
    »Die feindlichen Herren sind gekommen«, rief Merla und versuchte, Feuer im Herd zu entfachen, indem sie wie wild das Reisig anblies.
    »Was für feindliche Herren?« Tristen wischte sich den Schlaf aus den Augen.
    »Der Feind, mein kleiner Herr, Männer von Morgan, dem Iren, dem Mörder von Riwalin, unserem König, Gott sei seiner Seele gnädig. Jetzt kommen sie«, rief Merla und bemühte sich weiter um das Feuer, »jetzt, wo unser Marschall … ausgeritten ist, um an der Franzosen Grenze … einen Streit zu schlichten, jetzt … wollen sie ihren Tribut und sind … mit einer ganzes Schwadron, heißt es, angerückt und … wir … sind hilflos und niemand kann sie … empfangen!«
    Während sie das aufgeregt von sich gab, hatte Merla immer wieder ins glimmende Feuer gepustet und mehr zu sich selbst als zu Tristan gesprochen. Doch der Junge hatte gut zugehört und sich an Ruals Worte erinnert, dass er,
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