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Trieb

Trieb

Titel: Trieb
Autoren: Martin Krist
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händigte Ellen die Schlüssel des gemeinsamen Hauses in Zehlendorf aus. Seit wenigen Minuten gehörte es ihr. »Heute Mittag, kurz bevor ich zum Gericht gefahren bin.«
    »Da hab ich gearbeitet.«
    Genau deshalb.
Gemeinsam gingen sie nach draußen.
    Die sternenklare Abenddämmerung versprach eine frostige Nacht. In einer der Parknischen vor dem Gerichtsgebäude stand Kalkbrenners ziviler Dienstwagen, ein silberfarbener Passat, den er auch privat gelegentlich benutzte. Die Scheiben waren beschlagen, und aus dem Wageninneren erklang ein Kläffen.
    »Du hast Bernie im Auto gelassen?«
    »Er hat ein dickes Fell«, beruhigte sie Kalkbrenner, als er die Wagentür öffnete. Mit freudig wackelndem Schweif sprang der Bernhardiner vom Beifahrersitz, der einzige Fleck, der – vom Fahrerplatz abgesehen – noch frei war. Ansonsten stapelten sich die Kartons bis unters Wagendach.
    Skeptisch beäugte Ellen die Kisten. »Das ist alles?«
    »Zumindest alles, was ich vorerst brauche.«
    »Und die Möbel?«
    »Kommen noch. Später, wenn ich Zeit habe.«
    »Lebst du jetzt mit ihr zusammen?«
    »Nein.«
    »Ihr seid also kein Paar?«
    »Du hast es erfasst.«
    »Warum?«
    Kalkbrenner warf einen Blick auf seine Armbanduhr – es war nur eine Casio
.
»Ellen, ich muss los.«
    »Ja, natürlich.« Sie knotete ihren Schal enger um den Hals und schlüpfte in ihre Handschuhe. »Das war’s dann wohl. Mit einem Satz.«
    »Wenigstens einer wird sich darüber gefreut haben.«
    »Ach ja, und wer?«
    Kalkbrenner kommandierte Bernie ins Auto zurück. »Mein Anwalt. Mit einem einzigen Satz hat er sich seine nächste Rolex verdient.«
    »Du bist unmöglich.«
    »Wieso? Stimmt doch, bei dem Stundensatz!«
    »Du hättest es auch einfacher haben können.«
    »Stimmt, aber wie du schon sagtest«, Kalkbrenner lächelte gequält, »nicht alles ist einfach zu haben.«

3
    Die Tanzkapelle im
Café Verdun
spielte einen Schlager.
Du bist die Sonne
von
den Flippers.
Gib mir die Hand
,
wir laufen fort.
Eine hervorragende Idee, wie Harald Sackowitz fand. Er stürzte den Rest seiner Cola hinunter und bat den Barkeeper um die Rechnung.
    »Sie wollen schon gehen?«, fragte die Frau, die neben ihm am Tresen saß. Während der letzten halben Stunde hatte sie schweigend einen Prosecco nach dem anderen in sich hineingeschüttet. »Der Abend fängt doch gerade erst an.«
    Sein Blick glitt durch das Lokal. Für einen Wochentag war es tatsächlich ungewöhnlich voll. Allerdings hockten fast alle Gäste alleine an ihren Tischen, klammerten sich an ihre Getränke und stierten wahlweise hilflos, schüchtern oder erwartungsvoll auf die Telefone, die an den roten Lampenschirmen der Tischleuchten befestigt worden waren. Auf der Tanzfläche bewegte sich kein einziges Paar zum Flippers-Schlager-Disco-Foxtrott.
    »Sie sollten noch etwas Geduld haben«, versuchte die Frau ihn aufzumuntern.
    Genau das ist mein Problem.
Er hatte schon viel zu lange gewartet. Schade um die viele vergeudete Zeit – genauso wie um den guten Anzug und die feinen Schuhe! Er hasste solche teuren Fummel, die ihn bei jeder Bewegung in Hüfte, Knie und Achseln zwickten, selbst dann, wenn er regungslos an der Theke saß. Lieber trug Sackowitz Jeans, ein einfaches Hemd und seine heiß geliebten Adidas-Superstar-Sportschuhe. Vier Paar davon nannte er sein Eigen, in Schwarz, Blau, Rot und Braun. Freunde amüsierten sich über diesen Tick, aber wozu sollte er sich mit Edeltretern herumplagen, die seine Füße nur schmerzhaft einschnürten? Sneakers waren viel bequemer.
    »Meist kommt das Glück, wenn man am allerwenigsten damit rechnet«, fuhr die Frau fort.
    Sackowitz fischte einige Münzen aus seiner Geldbörse. »Dann wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt.«
    »Vielleicht ist das Glück ja schon ganz in Ihrer Nähe?« Ihre Fingernägel, blau lackiert und mit feinem Goldstaub berieselt, zärtelten an seinem Arm herum.
    Sackowitz schenkte der Tresennachbarin jetzt seine volle Aufmerksamkeit. Es war nicht ihr beherztes Auftreten, das ihn überraschte, denn schließlich lautete das
Café Verdun-
Motto: Ball Paradox
.
Frauen hatten hier immer die Männerwahl. Bemerkenswert war vielmehr ihr Erscheinungsbild: zu halbhohen Pumps trug sie hautfarbene Nylonstrumpfhosen und darüber einen mattblauen Rock, der deutlich über der Oberschenkelmitte endete. Die oberen Knöpfe der mit Pailletten besetzten Bluse standen offen. Die Grenze zur kompletten Entblößung war nach Sackowitz’ Ermessen in hauchdünner
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