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Trieb

Trieb

Titel: Trieb
Autoren: Martin Krist
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toll?«
    »Es war wirklich nicht schwer.«
    »Und unser erstes Geld haben wir auch schon verdient. Ein Kinderspiel.«
    »Ryon hat doch gesagt: Alles ist leichter, schöner und besser.«
    Ein Junge mit einer Kappe hastete an ihnen vorbei. »Vy tovo nje vidjeli? Do nam platit …« 1
    Das Ende des Satzes ging im Dröhnen von einem Zug unter, der auf einer stählernen Brücke über ihren Köpfen hinwegrollte. Doch Florim hatte verstanden. »Ey, das ist Russisch. Der kann uns bestimmt helfen.« Er dachte kurz nach, dann rief er: »Pastoj!« 2
    1   Habt ihr den gesehen? Der zahlt uns …
    2   Warte!

2
    »Nur ein einziger Satz. Schon komisch, oder?«
    Paul Kalkbrenner blieb auf der Treppe im Amtsgericht Schöneberg stehen. Im Foyer hatte sich die Eingangstür mit der Fußmatte verhakt. Es herrschte Durchzug, und ein frostiger Wind fegte durch das preußisch-ehrwürdige Gebäude. Während Kalkbrenner seinen Mantel zuknöpfte, begegnete sein Blick dem seines Anwalts.
    »Es ist alles geklärt.« Dr. Ernst zuckte mit den Schultern. »Sie können nichts Falsches mehr sagen.«
    »Mhm.«
    »Auf mich warten noch zwei weitere Gerichtstermine.« Der Anwalt zupfte seinen Anzugärmel zurück, um auf die Uhr zu schauen. Eine Rolex, golden. »Es ist schon kurz nach sechs. Wenn Sie mich also nicht mehr brauchen …«
    »Nein, nein, das war’s dann wohl.«
    »Die Scheidungspapiere werden Ihnen in den nächsten Tagen zugehen.« Dr. Ernst reichte Kalkbrenner die Hand, bevor er die Stufen hinunter- und hinaus in den Berliner Winter hastete. Die Tür schloss er dabei nicht.
    Kalkbrenner drehte sich um. »Ellen, was meinst du damit?«
    »Dieser eine Satz: ›Ja, ich willige ein.‹ Und alle Probleme sind plötzlich aus der Welt.«
    Sind sie das wirklich?
»Ja, schon komisch.«
    Ellen schritt die Stufen zu ihm hinunter. In der Verhandlung hatte Kalkbrenner sie seit Oktober zum ersten Mal wiedergesehen. Die grauen Strähnen in ihrem Haar waren jetzt dunkel gefärbt, und in dem modischen Kostüm hatte sie gefasst und entschlossen gewirkt. Jetzt hielt sie die Arme vor der Brust verschränkt, ob vor Enttäuschung, weil sie fror oder weil sie sich vor ihren Gefühlen schützen wollte, konnte er nicht erkennen. »Wie geht es dir?«, fragte er.
    »Es ist gut, dass wir endlich klare Verhältnisse geschaffen haben.«
    »Mit einem Satz – sozusagen.«
    »Wenn alles so einfach zu haben wäre, dann …« Ellen sog hörbar die Luft ein.
    Dann wäre es nie so weit gekommen
,
ich weiß.
Aber die Realität war eine andere, und vor allem bestand sie nicht aus Konjunktiven. Mit Aktenbergen beladen sprinteten Gerichtsdiener an ihnen vorbei. Die Richterin, die vor wenigen Minuten noch ihre Scheidung verhandelt hatte, klackerte nun auf Pumps dem Ausgang entgegen, ohne ihnen Beachtung zu schenken.
    »Meinst du, sie hat uns nicht erkannt?«, wunderte sich Ellen.
    »Bei zehn, zwanzig Scheidungen am Tag wäre das kein Wunder.«
    »So viele? Wie kommst du darauf?«
    »Sagt mein Anwalt.«
    »Aha.« Ellen musterte ihn. »Du hast abgenommen, oder?«
    »Ich jogge seit einiger Zeit. Mit Bernie. Täglich, wenn ich es schaffe.«
    Sie lächelte, aber es war nicht ihr Lächeln, mit dem er sie vor zwanzig Jahren kennengelernt hatte.
Manches verändert sich.
Manches blieb aber auch, sein Job zum Beispiel, den Ellen nie akzeptiert hatte.
    »Warst du nicht vor einiger Zeit im Urlaub?«, fragte sie jetzt. »Rita deutete so etwas an. Sie hat mich vor einigen Wochen zum Essen eingeladen. Ihrem Mann Gernot geht es wieder besser, wusstest du das?«
    »Sicher, Rita ist schließlich meine Sekretärin.«
    »Klar, natürlich. War er schön, der Urlaub? Wohin ging’s denn?«
    Kalkbrenner schlug den Mantelkragen bis zum Kinn hoch. »Ellen, ich sollte mich langsam auf den Weg machen.«
    »Bist du mit ihr
verreist?«
    Er wandte sich dem Ausgang zu. »Ich muss mich jetzt wirklich beeilen. Ich treffe mich gleich zur Schlüsselübergabe.«
    »Du lebst also nicht mehr in diesem Hotel?«
    Hotel war eine freundliche Bezeichnung für seine bisherige Unterkunft. Es war nur ein Zimmer in einer billigen Schöneberger Pension mit dem wenig verheißungsvollen Namen
Zum kleinen Hanseaten
gewesen
.
»Nein, zum Glück endlich nicht mehr.«
    »Und wo wirst du wohnen?«
    »Ist das denn so wichtig?«
    »Nur für die Post, Paul, damit ich sie dir nachschicken kann.«
    »Ich habe einen Nachsendeauftrag eingerichtet.«
    »Auch gut. Und wann kommst du deine Sachen holen?«
    »Schon erledigt.« Er
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