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Trieb

Trieb

Titel: Trieb
Autoren: Martin Krist
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sein Mobiltelefon einzuschalten. Jetzt aktivierte er es und wählte eine Nummer. Während er dem Freizeichen lauschte, meldete ihm seine Mailbox den Eingang zweier Sprachnachrichten. Kurz darauf meldete sich der Anrufbeantworter seiner Tochter.
    Schnell legte Kalkbrenner auf und betätigte die Wahlwiederholung. Vielleicht hatte Jessy das Läuten ja einfach nicht gehört. Im zweiten Wählvorgang hielt er inne. Viel wahrscheinlicher war es doch, dass sie das Gespräch ganz bewusst nicht angenommen hatte. Seit Wochen schon ging sie ihm beharrlich aus dem Weg. Selbst zu Weihnachten hatte es nur zu einem knappen Telefonat gereicht.
Frohe Weihnachten. Danke
,
gleichfalls. Bis dann. Tschüss.
    Bernie stupste ihn an. »Hunger?«
    Der Hundeschweif begann forsch zu wedeln.
    »Dann geht’s mir anscheinend nicht alleine so.«
    In den Umzugskisten, die er in der Küche abgestellt hatte, fand Kalkbrenner neben Hemden und Socken nur die Isomatte und seinen Schlafsack. Die zwei Kartons im Wohnzimmer enthielten Unterwäsche, Handtücher und Badeutensilien. Aus den Paketen, die er ins zukünftige Schlafzimmer geräumt hatte, förderte er endlich den alten Kassettenrekorder und zwei Suppenteller zutage. »Das ist immerhin ein Anfang.«
    Bernie kläffte ungeduldig.
    »Und wo habe ich dein Hundefutter versteckt?«
    Der Hund bellte noch lauter.
    »Wie wäre es, wenn du zur Abwechslung mal nicht nur meckern würdest, sondern mir beim Suchen hilfst?«
    Bernies Schwanz durchpflügte aufgeregt die Luft.
    »Eine tolle Hilfe bist du, wirklich.«
    Zwischen schmutziger Unterwäsche und einer Flasche Swiss Wodka
kam Kalkbrenner einer Dose Hundefutter auf die Spur
.
Er tat eine Portion auf den einen Suppenteller und stellte den zweiten mit Wasser daneben. Schmatzend machte sich Bernie über sein Abendessen her. Kalkbrenner begab sich mit Wodkaflasche und Kassettenrekorder bewaffnet zurück ins Wohnzimmer. Das knarrende Geräusch der Dielenbretter begleitete seine Schritte und mischte sich mit dem Knurren seines eigenen Magens.
    Er ließ sich auf den Boden gleiten und lehnte sich mit dem Rücken an einen der Umzugskartons. Irgendwie fühlte er sich inmitten der braunen, tristen Pappe verloren. Er schraubte die Flasche auf und betrachtete dabei das Ölbild, das an einer der schmucklosen Kisten lehnte. Auf den ersten Blick schien es aus einer Melange zufällig dahingekleckster Farben zu bestehen, erst beim zweiten entfaltete sich seine wahre Schönheit. Jessy, die Kunst studierte, hatte es für ihn gemalt. Als kleine Aufmerksamkeit. Oder als Andenken an eine Zeit, als sie noch Vater und Tochter gewesen waren und sich auch so verhalten hatten.
Aber das ist lange her.
    Unvermittelt musste er an seine eigenen Eltern denken. Insbesondere an seine Mutter Käthe Maria. Er würde sie bald mal wieder besuchen müssen.
    Wehmütig zog er den Kassettenrekorder näher zu sich heran und drückte auf die Play-Taste
.
The bird it has flown
,
sangen Deep Purple.
And the bird it has flown. To a place on it’s own. Somewhere all alone.
Gerade als Kalkbrenner die Wodkaflasche an die Lippen hob, räusperte sich jemand.
    »Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist.«

5
    »Er hat dich nicht gehört«, sagte Tabori.
    »Pastoj!«, rief Florim erneut. »Da pastoj she!« 3
    Ungeachtet ihrer Rufe überquerte der russische Junge die Straße und tauchte in einer Gruppe Jugendlicher unter. Als auch Tabori und Florim den Bürgersteig erreichten, waren die Halbwüchsigen bereits im Gewimmel zwischen den Straßenhändlern, Imbissen und Geschäften verschwunden.
    »Und jetzt?«, fragte Tabori.
    »Wir werden schon was finden.«
    »Was denn?«
    »Das da zum Beispiel!« An der Straßenecke räkelten sich in einem Schaufenster leicht bekleidete Puppen auf einem Boden aus rotem Samt. Bunte Gummistäbe waren rings um ihre Plastikfüße arrangiert. »Ey, weißt du, was das ist?«
    »Dildo«
, las Tabori von einem Schild ab. »Nein, keine Ahnung.«
    »Wirst du irgendwann schon verstehen.«
    »Du bist gemein. Sag mir, was das ist!«
    Aber Florim schwieg und trabte grinsend zur nächsten Kreuzung weiter. Die Bürgersteige der Allee waren einladend breit, die Weihnachtssterne an den Laternen unglaublich hell. Aus den Geschäften, die sich in den Erdgeschossen der Häuser befanden, wummerte laute Musik. Einige der Lieder kannte Tabori von der Hitparade auf
Top Channel
.
    »Was summst du da?«, wollte Florim wissen.
    »Von Tokio Hotel. Meiner Lieblingsgruppe.«
    »Und was singen die
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