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Tricks

Tricks

Titel: Tricks
Autoren: Alice Munro
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Touristen stiegen aus und schauten sich um und wussten überhaupt nicht, was sie mit sich anfangen sollten, denn sie waren nirgendwo. Es gab nichts zu kaufen.«
    Sylvia redete von Griechenland. Carla saß nur knapp einen Meter von ihr entfernt. Die langbeinige, verlegene, strahlend schöne junge Frau saß endlich da, in dem Zimmer, das mit Gedanken an sie gefüllt worden war. Leise lächelnd, mit Verspätung nickend.
    »Und anfangs«, sagte Sylvia, »anfangs wusste ich auch nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Es war so heiß. Aber das mit dem Licht stimmt. Es ist wunderbar. Und dann bin ich dahintergekommen, was man machen konnte, und es gab nur diese wenigen einfachen Dinge, aber sie füllten den Tag aus. Man läuft eine halbe Meile die Straße hinunter, um etwas Öl zu kaufen, und eine halbe Meile in die andere Richtung, um sich Brot oder Wein zu kaufen, und das ist der Vormittag, und man isst unter den Bäumen etwas zu Mittag, und nach dem Mittagessen ist es zu heiß, um irgendetwas zu tun außer die Fensterläden zu schließen und sich aufs Bett zu legen und vielleicht zu lesen. Anfangs liest man. Und dann wird man so, dass man nicht einmal das tut. Warum lesen? Später merkt man, dass die Schatten länger geworden sind, und man steht auf und geht zum Baden ans Meer.
    Ach«, unterbrach sie sich. »Ach, das hab ich ganz vergessen.«
    Sie sprang auf und ging das Geschenk holen, das sie mitgebracht hatte und das sie keineswegs vergessen hatte. Sie hatte es Carla nicht sofort geben wollen, also versuchte sie, einen günstigen Augenblick dafür herbeizuführen, und während sie redete, war sie in Gedanken bei diesem Augenblick, in dem sie das Meer erwähnen konnte. Und sagen konnte, wie sie es jetzt tat: »Das Baden im Meer hat mich daran erinnert, denn das ist eine kleine Nachbildung, wissen Sie, das ist eine Nachbildung von dem Pferd, das man auf dem Meeresboden gefunden hat. In Bronze gegossen. Nach all der Zeit hat man es aus dem Meer heraufgeholt. Es soll aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus stammen.«
    Als Carla hereingekommen war und sich umgesehen hatte, ob es etwas zu tun gab, hatte Sylvia gesagt: »Ach, setzen Sie sich doch eine Minute, ich habe noch mit niemandem reden können, seit ich zurück bin. Bitte.« Carla hatte sich auf eine Stuhlkante gesetzt, die Beine gespreizt, die Hände zwischen den Knien, ein Bild des Jammers. Wie in Rückbesinnung auf eine ferne Höflichkeit hatte sie gefragt: »Wie war's in Griechenland?«
    Jetzt stand sie da, mit dem verkrumpelten Seidenpapier um das Pferd, das sie noch nicht völlig ausgewickelt hatte.
    »Es soll ein Rennpferd darstellen«, sagte Sylvia. »Das zum Endspurt ansetzt, zum Endkampf im Rennen. Auch der Reiter, der Junge, man kann sehen, wie er das Pferd bis an die Grenze seiner Kräfte treibt.«
    Sie erwähnte nicht, dass der Junge sie an Carla erinnert hatte, und sie hätte jetzt auch nicht sagen können, warum. Er war höchstens zehn oder elf Jahre alt. Vielleicht hatten die Kraft und die Anmut des Arms, der die Zügel gehalten haben musste, oder die Falten auf seiner kindlichen Stirn, die Hingabe und der Feuereifer etwas von Carla, als sie im Frühjahr die großen Fenster geputzt hatte. Ihre kräftigen Beine in den Shorts, ihre breiten Schultern, ihr schwungvolles Wischen über das Glas, und dann die Art, wie sie zum Scherz die Arme gespreizt hatte und Sylvia damit zum Lachen eingeladen oder sogar aufgefordert hatte.
    »Ja, das sieht man«, sagte Carla jetzt und betrachtete pflichtschuldig die kleine bronzegrüne Statue. »Vielen Dank.«
    »Gern geschehen. Wir wollen Kaffee trinken, ja? Ich habe gerade welchen gebrüht. In Griechenland war der Kaffee sehr stark, ein bisschen stärker, als ich ihn mag, aber das Brot war himmlisch. Und die reifen Feigen waren phänomenal. Setzen Sie sich doch noch einen Augenblick bitte. Sie müssen mich unterbrechen, damit ich nicht endlos so weiterrede. Was ist hier los? Wie war das Leben hier?«
    »Es hat fast ständig geregnet.«
    »Das sieht man. Das ist deutlich zu sehen«, rief Sylvia aus der Küchenecke des großen Zimmers. Als sie den Kaffee einschenkte, beschloss sie, nichts von dem anderen Geschenk zu sagen, das sie mitgebracht hatte. Es hatte sie nichts gekostet (das Pferd hatte mehr gekostet, als das Mädchen sich wahrscheinlich vorstellen konnte), es war nur ein kleiner rosa-weißer Stein, den sie am Wegrand gefunden hatte.
    »Der ist für Carla«, hatte sie zu ihrer Freundin Maggie gesagt, die neben
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