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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal
Autoren: Klaus Erfmeyer
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nicht ernsthaft«, entrüstete sich Knobel. Er wies mit dem Kopf zur Diele. »Wenn ich nicht irre, ist dahinter die Wohnungstür.«
    »Es wäre mir lieber, wenn Sie den Weg nähmen, den Sie gekommen sind«, sagte Frodeleit. »Wegen der Spurenlage, Sie wissen schon. Vergessen Sie nicht, dass Sie nur ein Eindringling sind. Ich werde vorsorglich den Vorfall der Polizei melden und Spuren sichern lassen. Wer weiß schon heute, welche Wahrheit wir irgendwann mal brauchen werden. Sie verstehen mich auch ohne Waffe, Herr Knobel! – Bitte gehen Sie über die Terrasse zur Straße zurück. Ich meine das ganz ernst. – Nur die Freunde gehen vorn raus. Soviel ist sicher. So ist die Kultur.«
    Stephan verließ das Haus durch den Garten. Er setzte sich in sein Auto in der Nebenstraße und wartete. Einige Minuten später huschte Löffke an ihm vorbei. Frodeleits Freund hatte es nicht weit nach Hause.
    Es dauerte nicht lange, bis ein Polizeiwagen langsam an ihm vorbeifuhr und in die Sackgasse einbog. Frodeleit hatte tatsächlich die Polizei gerufen. Er und die abgeschminkte Verena würden jetzt aufgelöst in ihrer Wohnung warten und dann die Beamten ins Wohnzimmer führen. Frodeleit würde von dem Eindringling berichten, der ein Messer ergriffen und ihn bedroht habe. Die Beamten würden Spuren sichern und die Spurenträger asservieren. Das Verfahren ›Bedrohung und Hausfriedensbruch zum Nachteil Frodeleit‹ würde eingestellt werden, weil man den Täter nicht ermitteln konnte. Aber die Akte mit den Beweisen würde wie eine schlafende Bombe im Keller des Polizeipräsidiums ruhen. Das war das Gleichgewicht des Schreckens, das Frodeleit meinte. Er könnte jederzeit die Bombe aktivieren und gegen Stephan richten. Sicher würde Frodeleit dann erklären können, warum er den Täter nicht bereits am Tatabend identifiziert hatte. Stephan lachte bitter. Frodeleit und Löffke zusammen würden das Theater vom heutigen Tage zur Wahrheit machen.

19.
    »Das darf nicht wahr sein!«
    Marie sah Stephan wütend und auf merkwürdige Weise zugleich resigniert an. Ihre Augen glänzten. Sie saßen am Küchentisch in ihrer Wohnung. Es war schon nach Mitternacht. Stephan hatte im Detail berichtet.
    »Du willst mir jetzt nicht sagen, dass alles nichts gewesen und erledigt ist: Der Tod von Büllesbach, die Falschabrechnungen Löffkes, die Absprachen zwischen dem ekelhaften Frodeleit und Löffke, die Bedrohungen durch Frodeleit, das Eindringen in meine Wohnung? Das alles soll nicht sein, bloß weil die beiden gemeinsame Sache machen und dich nun erpressen? Gleichgewicht des Schreckens? – Stephan, wie krank ist das?«
    Sie schüttete sich zitternd einen Tee ein. Wie oft hatten sie es genossen, an ihrem alten Küchentisch zu sitzen und über Gott und die Welt zu diskutieren, während sie einen Tee oder einen Wein tranken. Es waren häufig leidenschaftliche Gespräche gewesen, aber noch nie war Marie so außer sich wie jetzt. Und noch nie war sie selbst von einer Sache so betroffen wie jetzt. Es ging nicht allein darum, dass Frodeleit sie bedroht hatte. Es ging darum, dass die Bedrohungen als nicht existent betrachtet wurden, wie alle anderen Geschehnisse, über die man wechselseitig schweigen sollte.
    »Es gibt mit Sicherheit Faserspuren von Frodeleit in meiner Wohnung«, setzte sie wieder an. »Er ist nicht spurenlos geblieben.«
    Sie bäumte sich immer noch gegen die Wahrheit des Achim Frodeleit auf, die eine Wahrheit der Akten und des scheinbar Bewiesenen war, die das objektiv Geschehene mit Füßen trat.
    »Er hat nicht einmal zugegeben, hier gewesen zu sein«, entgegnete Stephan. »Und selbst wenn der Beweis zu führen wäre: Meinst du nicht, dass er mit Löffkes Hilfe eine Geschichte kreiert, die seinen Aufenthalt in dieser Wohnung erklärt?«
    »Was willst du mir sagen, Stephan? Dass wir alles hinnehmen? Ist das dein Verständnis von Gerechtigkeit? Hast du heute schon mal in die Zeitung geschaut?«
    Sie stand auf und kehrte mit einer Innenseite der gestrigen Tageszeitung zurück. »Ich habe es vorhin erst gesehen. – Lies, bitte!« Sie hielt ihm die Doppelseite unter die Nase. »Hier, rechts unten«, sagte sie, »sie haben es immerhin nicht ins Zentrum gesetzt.«
    ›Gewissen und Moral als ungeschriebene Rechtsmaximen – von Achim Frodeleit‹: Der Beitrag berichtete über einen Vortrag, den Frodeleit einen Tag zuvor vor Vertretern aus Politik und Wirtschaft in den Ratsstuben gehalten hatte.
    »Er ist skrupellos genug, auch noch Büllesbachs Idee
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