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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Marie Schwarz möglicherweise zu kämpfen hat. Ich biete ihm an, jederzeit mit mir das Gespräch zu suchen.
     
    gez.: Löffke, Rechtsanwalt
     
    Donnerstag, 04.03., 9.30 Uhr
     
    Kollege Knobel sucht mich erneut auf. Er ist noch besorgter als bei unserem ersten Gespräch. Er erklärt, dass Marie Schwarz behauptet habe, dass Herr Richter am Oberlandesgericht Hamm, Achim Frodeleit, am gestrigen Abend in ihre Wohnung eingedrungen sei. Frodeleit soll teuflische Fratzen geschnitten und sich über Frau Schwarz lustig gemacht haben. Sie sei kreischend in ihr Schlafzimmer geflüchtet. Kollege Knobel ist sich sicher, dass sich seine Freundin die Geschichte eingebildet hat. Wir erörtern, welche ärztliche Hilfe für Frau Schwarz geeignet sein kann. Knobel erklärt, dass er sich nicht mehr zu helfen wisse. Er befürchtet, dass Marie Schwarz die Kontrolle über sich verlieren könne. Wir vereinbaren, weiter im Gespräch zu bleiben. Ich sage zu, mit einem Facharzt für Psychiatrie Rücksprache zu nehmen, den ich aus dem Golfklub kenne. Er ist ein durch und durch verlässlicher Mensch.
     
    gez.: Löffke, Rechtsanwalt
     
    »Sie sind ein Schwein!«, zischte Stephan.
    »Langsam«, mahnte Frodeleit. »Ganz ruhig, Herr Knobel. Wir halten zunächst einmal fest: Terror funktioniert am besten mit unkörperlicher Gewalt. Das haben wir von Büllesbach gelernt. Und wir lernen im Weiteren: Es gibt die Wahrheit der Akten. Diese kleine Akte hier ist ein Wahrheitsdokument. Kollege Löffke hat die Vermerke an den Tagen geschrieben, auf die sie datiert sind. Da ist nichts nachträglich zusammengebastelt worden. Sie waren an diesen Tagen in der Kanzlei, Herr Knobel. Die Sekretärin wird bestätigen können, dass Sie wirklich zu diesen Zeitpunkten in Löffkes Büro waren. Das sind Beweise. Dagegen ist Ihre Beweislage dünn, Herr Knobel, merken Sie das nicht? Sie sind doch Jurist. Ich liebe den Begriff der formellen Wahrheit. Haben Sie den mal richtig durchdrungen? Ich könnte darin suhlen, wirklich!«
    Er schmeckte selbstverliebt den Begriff nach, dann konzentrierte er sich.
    »Unser Problem ist Folgendes: Mit dem Ende unserer gemeinsamen Zeit im Bunker war die Geschichte eigentlich erledigt. Sie, Herr Knobel, haben eine eigene weitere Geschichte kreiert und sie der ersten aufgesetzt. Zum wiederholten und letzten Male: Büllesbach ist wirklich durch einen unglücklichen Zufall gestorben. Er sollte, wie meine Angeklagten gern zu sagen pflegen, kräftig etwas auf die Fresse kriegen. Das habe ich zusammen mit Hubert erledigt und das war auch so gewollt. Darum bin ich mit Hubert hinter ihm her. Ich lasse mir von so einem Hanswurst nicht vorwerfen, ich beuge das Recht. Meine Urteile sind rechtens. Und was mit wem vorher abgesprochen wird oder nicht, bleibt meine Angelegenheit. Absprachen in großen Prozessen sind die Regel. Es gibt genügend Stimmen, die diese Praxis angreifen. Aber so ist nun mal die Realität. Und hier geht es nicht um große Prozesse. Es geht um Bagatellen, um irgendeinen Niemand, der ohne Ticket mit dem Bus fährt oder bei Karstadt eine CD klaut oder Onkel Werner eine Spende aus dem Kreuz leiert. Bei den Kleinen geht es nicht um große Rechtsfragen. Das Kleine interessiert nicht. Ich will nicht umsonst nach vorn«, rief Frodeleit pathetisch.
    »Zur formellen Wahrheit kommt die falsche Wahrheit, das Relative, das kleine und das große Recht«, nickte Stephan. »Jetzt verstehe ich das Unrecht.«
    »Recht und Unrecht«, wiederholte Frodeleit gedehnt. »Wie naiv sind Sie denn? Sie sind seit Jahren im Geschäft. Glauben Sie tatsächlich, es geht um Recht? Man gewinnt Prozesse, weil die anderen Fehler machen. Der kluge Anwalt lauert auf die Fehler des anderen. Wir haben doch alle das Lauern gelernt, Kollege Knobel! – Gucken Sie sich die Juristen an! Sie finden kaum eine feigere Spezies. Juristen legen sich nie fest. Sie formulieren im Konjunktiv. Sie glauben gar nicht, wie ich diese Gestalten hasse, wenn sie devot neben ihrem Mandanten sitzen. Wir sind anders, Knobel! Wir lauern nicht, wir tun was. In Ihrem Fall mussten wir handeln. Wir mussten Ihrer Geschichte etwas entgegensetzen. Wenn Sie Löffke und mich bezichtigen, Büllesbach getötet zu haben, dann war es an uns, Sie selbst in die Sache einzubeziehen. Verstehen Sie: Jetzt haben wir Sie in der Hand. Hausfriedensbruch, gewaltsames Eindringen, Bedrohung, all das ist kein Kinderspiel. Wir wollen einfach nur, dass Sie und Ihre Marie endlich die Klappe halten. Ich werde mich jetzt
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