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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal
Autoren: Klaus Erfmeyer
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»Er ist zugleich Freund und Kollege und steht zurzeit vor einem großen Karrieresprung!«
    Löffkes Augen leuchteten verzückt, als falle der Glanz des Freundes auf ihn selbst zurück.
    »Es kommt nur ein Buchstabe hinzu«, wandte Frodeleit ein.
    »Er wird zum Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht befördert«, stellte Löffke richtig.
    »In der dienstlichen Bezeichnung rücke ich lediglich vom ROLG zum VROLG vor«, wiegelte Frodeleit gespielt bescheiden ab.
    Bromscheidt, der Gastgeber, war Anfang 50 und auffallend schlank, fast dürr. Sein kahler Kopf wirkte käsig weiß. Er hatte hellblaue wache Augen, einen schmalen Mund und ein makelloses Gebiss. In seiner schlichten schwarzen Jeanshose, einem weißen T-Shirt und dem schwarzen Jackett wirkte er äußerst gepflegt und zugleich intellektuell.
    »Darf ich fragen, was Sie schon von unserer Idee wissen?«, erkundigte sich Bromscheidt freundlich bei Stephan.
    »Nicht viel«, gestand dieser. »Herr Löffke sagte, es gehe um ein kulturelles Projekt zum Thema Justiz und Gewissen‹.«
    »Justiz und Gewissen«, wiederholte Bromscheidt lächelnd. »Ja, so kann man die Überschrift nennen. – Ich muss gestehen, dass ich das Projekt noch nicht im Detail durchdacht habe. Es ist bislang lediglich eine Idee, die ich mit Ihnen ausgestalten und realisieren möchte. In meinem Kopf kreisen seit Langem die Gedanken darum. Aber bis daraus etwas Konkretes wird, bedarf es noch einiger Arbeit. – Denken Sie daran, mitzuarbeiten? Ich freue mich natürlich, wenn ich Mitstreiter für unsere Idee gewinnen kann.«
    »Bislang wissen wir so gut wie nichts. Also können wir nichts dazu sagen«, wandte Marie ein.
    »Natürlich nicht! Ich überfordere Sie ja förmlich«, entschuldigte sich Bromscheidt. »Sehen Sie, die Kulturhauptstadt Essen bietet eine Chance für die ganze Region. Ein Jahr lang wird das Ruhrgebiet im Zentrum des kulturellen Interesses stehen. Das ist eine, wie ich meine, vorzügliche Gelegenheit, Themen zu transportieren, denen sonst zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Justiz und Gewissen ist eine Thematik, die man sicher nicht auf der Agenda erwartet. Es könnte ein Highlight werden.«
    »Es klingt ein wenig altlastig, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf«, sagte Achim Frodeleit, ein hagerer, hoch aufgeschossener, sportlicher Typ mit sonnengebräuntem Teint und kurz geschorenem Haar. »Vom Titel her habe ich, ehrlich gesagt, allerdings leichte Zweifel. Nicht nur, weil das Thema sehr speziell ist, sondern weil es arg in die Vergangenheit zu greifen scheint. Finden Sie nicht, dass es eher ein rechtsgeschichtliches als kulturelles Thema ist?«
    »Sie meinen, es sei ein Thema der Vergangenheit?«, fragte Bromscheidt.
    »Im Rahmen einer Kulturveranstaltung: ja«, meinte Frodeleit. »Dabei verkenne ich natürlich nicht, dass gerade bei Juristen die deutsche Vergangenheit in weiten Teilen nicht aufgearbeitet ist. Juristen waren und sind stets eine tragende Säule aller gesellschaftlichen Systeme. Das gilt gerade für das unsägliche Dritte Reich. Wir kennen doch alle die unheilvollen Leitgestalten des Unrechtsstaates.«
    »Ich suche eher eine Brücke in die Gegenwart«, korrigierte Bromscheidt. »Und gerade dieser Brückenschlag scheint mir die entscheidende Herausforderung zu sein. – Sehen Sie: Ich möchte das Projekt psychologisch angehen. Meine Frage lautet: Woher kommt der Unrechtsjurist? Meine These ist: Es hat diesen Typus immer gegeben und es wird ihn immer geben. Die jeweilige Staatsform bringt diese Menschen nicht hervor. Sie zeugt nicht den Unrechtsjuristen, sondern sie kann ihm allenfalls den Rahmen bieten, in dem er sich entfalten kann. Recht und Unrecht sind wesentliche Bestandteile der Kultur. Ich meine, dass das Gewissen des einzelnen Richters wesentlich dafür verantwortlich ist, Recht und Unrecht innerhalb der Gesellschaft auszuprägen. Das Dritte Reich wird stets als Ausnahmesituation verstanden, gewissermaßen als ein dämonisches Phänomen, das schlimme Auswüchse in allen Bereichen begründet und gefördert hat. Meine These aber ist, dass das Dritte Reich nur äußerlich sichtbar gemacht hat, was in den Menschen über die Zeiten hinweg steckte.«
    Frodeleit schüttelte energisch den Kopf, doch Bromscheidt redete unbeirrt weiter. »Im Kern hat das Dritte Reich den Teufeln nur die Gelegenheit geboten, ihre menschliche Maske fallen zu lassen. Das impliziert aber, dass es die Teufel weiterhin gibt. Das ist mein Thema. Dafür brauche ich Ihren Rat
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