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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal
Autoren: Klaus Erfmeyer
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das Fenster zu öffnen.«
    »Ein Sherlock Holmes der Anwaltsszene, was meinst du, Hubert?« Frodeleit schlug gelassen ein Bein über die Sessellehne und lehnte sich zurück. Er lag fast. Die Waffe ruhte auf seinem Bauch.
    »Ich ahne auch, woher der Schlüssel kommt«, fuhr Stephan fort. »Sie, Löffke, haben von meinen Schlüsseln Abdrücke genommen, als ich irgendwann zu Gericht war. Sie wissen, dass ich meinen Schlüsselbund meistens in der Kanzlei lasse, wenn ich einen Termin in Dortmund wahrnehme. Dahin gehe ich zu Fuß. Ich brauche nicht einmal die Autoschlüssel.«
    Löffke sagte nichts.
    »Na also«, bemerkte Stephan. »Man kann genau nachverfolgen, was passiert ist. Und ich begreife auch, wie Sie zusammenarbeiten: Sie, Löffke, haben Frodeleit gebrieft, in welche U-Bahn er wo einsteigen muss, nachdem Sie Marie beobachtet haben. Sie wissen aus meinen Erzählungen, dass sie sich in letzter Zeit turnusmäßig mit ihren Freundinnen aus dem Studium trifft. Sie, Frodeleit, haben sich in der U-Bahn und auch auf dem Bahnsteig so positioniert, dass Sie von der Kamera nicht erfasst wurden. Den Brief haben Sie entwendet, nachdem Marie aus der Wohnung gelockt wurde. Das haben Sie geschafft, Löffke, nachdem Sie mich mit Pöbeleien aus der Kanzlei gejagt haben und anzügliche Worte über Marie fallen ließen. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass ich den Rest des Tages mit Marie verbringen würde. Die Rechnung ist aufgegangen. Und Sie, Herr Frodeleit, haben in der Brunnenstraße gewartet. Zeit haben Sie ja genug. Wenn gerade kein Sitzungstag ist, müssen Sie ja nicht im Gericht präsent sein.«
    »Bei Ihnen ist Fleisch ein Reizbegriff«, frohlockte Löffke. »Gleich, ob es meine Fleischplatten sind oder die fleischlichen Vorzüge Ihrer Freundin. Sie sind so schön berechenbar, mein lieber Sozius! Sie reagieren auf Schlüsselworte.«
    »Ich werde alles plausibel darstellen können«, trotzte Stephan.
    »Darstellen ist das eine, beweisen das andere«, belehrte Frodeleit. »Darstellbar und beweisbar ist nur, dass Sie hier eingedrungen sind, Herr Knobel, dass Sie auf frischer Tat ertappt worden sind und ich von den Möglichkeiten der unzweifelhaft gegebenen Notwehrlage als rechtstreuer Bürger in besonnener Weise keinen Gebrauch gemacht habe. Stattdessen habe ich Sie gebeten, mit Ihrem Anwalt Rücksprache zu nehmen, dem Sie sich anvertraut haben, weil Ihre Freundin unter dem Wahn leidet, von Richter Frodeleit verfolgt zu werden.«
    Er lächelte kalt. »Und nun, Herr Knobel?«
    »Es gibt gar keine Beweise, dass Marie bedroht worden ist«, entgegnete Stephan. »Wir haben die Vorfälle nie angezeigt. Und ich habe auch nie mit Ihnen darüber gesprochen, Herr Löffke!«
    »Doch!« Löffke öffnete seine Mappe. »Es ist eine vertrauliche Akte. Ich habe sie nicht über das Sekretariat anlegen und bearbeiten lassen. Ich verwalte sie selbst, weil ich Sie schützen möchte, Herr Knobel. Ich habe Vermerke über meine Gespräche gefertigt.« Er blätterte die Akte auf und las vor:
     
    Mittwoch, 24.02., 10.15 Uhr
     
    Kollege Knobel sucht mich zu einem vertraulichen Gespräch in meinem Büro auf. Er wirkt angestrengt und übernächtigt. Knobel berichtet, dass seine Freundin Marie sich verfolgt fühle. Sie habe an der U-Bahnstation Brunnenstraße einen Mann in einem dunklen Mantel gesehen, der sie frech angegrinst habe. Sie meint, es sei Herr Richter am Oberlandesgericht Hamm, Achim Frodeleit, gewesen. Ich frage Kollege Knobel, ob er das für möglich halte. Er ist mit mir der Meinung, dass sich Marie Schwarz geirrt haben müsse. Im Vertrauen gesteht er, dass er sogar davon ausgehe, dass es überhaupt keine Person gegeben habe, die Frau Schwarz bedrohte. Knobel teilt weiter mit, dass er im Anschluss mit Marie Schwarz noch einmal die U-Bahnstation aufgesucht habe. Als sie dort zufällig auf einen Jugendlichen in einem dunklen Anorak getroffen sind, habe Marie Schwarz hysterisch gelacht. Nunmehr war sie der Meinung, dass dieser Jugendliche die Person gewesen sei, die sie bedroht habe. Kollege Knobel habe erfolglos versucht, Frau Schwarz zu beruhigen. Natürlich weiß er, dass dieser Jugendliche mit der Sache nichts zu tun hat. Im Vertrauen teilt er mit, dass er sich Sorgen um den Gesundheitszustand von Marie Schwarz mache. Ich bestätige, dass man solche Dinge ernst nehmen müsse. Einstweilen soll nichts weiter unternommen werden. Ich rate Knobel, sich um Marie Schwarz zu kümmern und im Gesprächswege herauszufinden, mit welchen Problemen
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