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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Meter unter der Erde«, erklärte Bromscheidt, als sie unten angekommen waren. »Was die wenigsten wissen: Dortmund verfügt über das größte unterirdische Bunkersystem Deutschlands. Alle würden vermuten, dass sich eine solche Anlage in Berlin befindet. Aber das ist ein Irrtum. Der größte unterirdische Bunker Deutschlands befindet sich tatsächlich hier!«
    Er trat wie ein Reiseführer vor die Gruppe und wies mit ausgestreckten Armen in beide Richtungen, in denen sich gähnend dunkle Röhren anschlossen. »Über vier Kilometer reichen die bis zu sechs Meter hohen Gänge des alten Luftschutzbunkers unter der Innenstadt. Bestimmt kennen Sie einige der Zeitungsartikel, die immer wieder darüber berichten, dass geplant sei, die unterirdischen Anlagen einer touristischen Nutzung zuzuführen. Aber diese Ideen sind bislang an verschiedenen rechtlichen Problemen gescheitert. Jetzt, im Kulturhauptstadtjahr, bietet sich die Möglichkeit, zumindest einen Teil der Stollenanlage zu Ausstellungszwecken zu nutzen. Wie Sie sehen, sind die Tunnel ziemlich ausgeräumt. Es befinden sich kaum noch technische Einrichtungen darin, nicht einmal mehr eine Beleuchtung. Teilweise existieren noch Rohrleitungen, mehr nicht. Man muss sich vorstellen, dass bis zu 80.000 Menschen hier unten Schutz vor den Bomben finden sollten. Die Anlagen haben ohne Zweifel etwas Mystisches. Es wäre reizvoll, sie für bestimmte kulturelle Zwecke wieder zum Leben zu erwecken. Vielleicht gibt es jetzt endlich einen Anstoß in diese Richtung.«
    Bromscheidt nahm drei Taschenlampen aus dem Stoffbeutel und übergab jeweils eine an Löffke und Frodeleit. Die dritte behielt er für sich.
    »Hier weht der Hauch der Geschichte.«
    Frodeleit sah sich ehrfurchtsvoll um, als Bromscheidt seine Taschenlampe anknipste und der Lichtstrahl sich vorn in dem dunklen Tunnelgewölbe verlor.
    »Es hätte tatsächlich ein U-Bahn-Tunnel werden können«, erklärte Bromscheidt weiter und ließ das Licht seiner Taschenlampe durch das Gewölbe tanzen. »Wie Sie sehen, handelt es sich um einen röhrenartigen Querschnitt. Der Tunnel ist bergmännisch ausgebrochen worden. Die Wände sind mit Stahlprofilen gesichert, teilweise hat man auch betoniert.«
    »Hier wollen Sie unsere Ausstellung präsentieren? – Und ich vermute, viel lieber als in der Alten Steinwache«, fasste Löffke neugierig nach.
    »Viel lieber!«, gestand Bromscheidt. »Stellen Sie sich vor:
    Die Besucher laufen den Tunnel entlang und gelangen, sagen wir mal, alle 50 bis 100 Meter an eine Präsentation als Informationsinstallation.«
    »Das ist ja wie ein Kreuzweg«, fiel Frodeleit ein.
    »Der Vergleich ist nicht unpassend«, stimmte Bromscheidt zu. »Es ist eine Gelegenheit, ein historisch interessantes bauliches Umfeld mit unserer Thematik zu verbinden. Der Tunnel symbolisiert diese Dunkelheit auf der einen und den Weg nach vorn auf der anderen Seite. Vergessen Sie nicht, dass das Interesse an den Bunkeranlagen in der Bevölkerung sehr groß ist. Der Tunnel wird ein Publikumsmagnet sein. Wir sollten diesen Marketing-Aspekt nutzen.«
    »Unbedingt!«
    Der Begriff Marketing beflügelte Löffkes Fantasie.
     
    Sie mochten fünf, vielleicht auch zehn Minuten gegangen sein, ohne dass einer ein Wort sagte. Der Gedanke, dass sich hier während des Krieges Tausende von Menschen zusammenzwängten, während oben die Bomben auf die Stadt hagelten, beschäftigte alle, und sie suchten im Lichte der Taschenlampen unwillkürlich nach Spuren dieser dramatischen Stunden, als Heerscharen von Menschen im Bunker verzweifelt Schutz suchten. Doch Bromscheidt hatte recht: Bis auf einige an der Wand entlanglaufende Rohre war der Tunnel leer. Alle weiteren Installationen waren entfernt, ebenso alle Gegenstände, die die Menschen hier unten möglicherweise zurückgelassen hatten.
    In kindlicher Neugier hielten sie Ausschau nach Spuren dieser wirren Zeit. Vergeblich. Obwohl der Tunnel eigentümlich neutral war, wirkte er bedrohlich und fremd – ein stummer Zeuge einer düsteren Vergangenheit. Der Krieg war förmlich zu fühlen.
    Bromscheidt leuchtete flüchtig auf seitlich angebrachte eiserne Zaunflügel. »Ein Bauzaun«, erklärte er. »Es sind immer wieder Leute in den Stollen eingebrochen; daraufhin hat man den Tunnel in einzelne Sektionen aufgeteilt. Man kann ja verstehen, dass all dies einen Reiz ausstrahlt.«
    Mit diesen Worten richtete er die Lampe in die Höhe und sie stellten fest, in einen mehrere Meter hohen Raum gelangt zu sein,
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