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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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er den Namen hörte. »Seid Ihr Jude?«
    Joshua wurde bleich. Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich war es einmal. Aber ich bin konvertiert.«
    »Ah, das ist gut. Denn Juden sind in dieser Stadt nicht gern gesehen. Schon gar nicht, wenn bald eine Seuche ausbrechen sollte. Ich brauche Ihnen sicher kaum zu erklären, was die Leute dann denken würden.«
    Henri war sich nicht sicher, ob Priziac sie warnen oder ihnen drohen wollte. Daher sagte er einfach: »Wir pflegen Angélique, solange es geht.«
    Der Magister schloss seine Tasche. »Gut. Ich lasse sie hier. Aber ihr müsst mir garantieren, zweimal am Tag ins Spital zu kommen und mich über ihren Zustand in Kenntnis zu setzen! Und ich komme jeden Morgen herüber und schaue sie mir an. Zudem schicke ich euch eine Pflegerin, die sie wäscht, denn ihr werdet das kaum übernehmen können.«
    »Danke«, sagte Henri, »und seid unbesorgt. Wir werden uns an all Eure Vorschriften halten.«
    Der Medicus verschwand. Eine Stunde später erschien die Pflegerin im Haus des Buchmalers. Sie trug einen langen, braunen Kittel und aus Sorge vor schlechten Ausdünstungen einen Atemschutz vor Nase und Mund. Sie legte die Kranke vorsichtig auf eine Bahre, reinigte das verschwitzte Bett und trug das abgezogene Linnen hinunter. Angélique war fast die ganze Zeit über nicht bei Bewusstsein gewesen, doch kurz nachdem die Pflegerin gegangen war, kam sie zu sich. Sie erkannte die beiden Männer an ihrem Lager und fragte schwach:
    »Wo ist…?«
    »Er kommt später«, beruhigte Henri die Kranke.
    Angélique wollte etwas erwidern, schloss aber entkräftet die Augen und verlor erneut das Bewusstsein.
    »Lassen wir sie schlafen«, sagte Joshua. »Sie hat viel Kraft verloren. Sie kämpft mit einem inneren Dämon, der sie vergiftet. Wenn sie schläft, kann sie sich besser gegen ihn wehren.«
    »Das klingt in meinen Ohren ziemlich widersinnig«, meinte Henri.
    »Es ist aber so. Ich habe viel darüber gelesen. Beim Schlafen konzentriert sich der Kranke ganz auf die Kräfte, die ihn bedrohen.«
    Die beiden Gefährten setzten sich zu beiden Seiten des Krankenlagers nieder. Angélique trug ein weißes Nachthemd, ihr Hals war von einem Wolltuch umwickelt. Sie lag ausgestreckt und willenlos auf dem Strohlager, und ihr Körper war bis zum Kinn von einer Decke bedeckt. Sie schien gleichzeitig zu frieren und zu schwitzen.
    »Was hältst du von dieser Krankheit, Joshua? Du hast so viel gesehen und gelesen. Was sagen deine Heilkenntnisse?«
    »In der Bibliothek von Toledo las ich einmal ein Buch von Evagrius Scholastikus aus Antiochia. Der Autor beschrieb darin eine Epidemie, die im Winter des Jahres 543 in Asien, Dalmatien, Italien, Spanien und Nordafrika grassierte. Tausende starben, insbesondere in den Hafenstädten des Mittelmeers. Der Schiffsverkehr und Menschen, die sich mit der Krankheit infiziert hatten und aus den Elendsgebieten flüchteten, sorgten für eine rasche Ausbreitung der Seuche. Evagrius nannte sie das Justinianische Feuer, aber die Kranken litten unter anderen Symptomen als Angélique. Zwar hatten auch sie Knoten, die blutig anschwollen, Unterblutung der Haut, Drüsenschwellungen und Gelenkschmerzen, wie Magister Priziac sie hier diagnostiziert hat, aber wenn es sich um die Seuche handelte, die Evagrius beschrieb, müsste Angélique auch Wahnsinnsanfälle und Lähmungen bekommen und Traumgesichter haben. Doch sie schläft jetzt so ruhig.«
    »Wir müssen sie weiter beobachten. Am besten abwechselnd. Und vielleicht übertreiben wir es auch mit unserer Sorge. Evagrius schrieb immerhin von einer Krankheit, die vor achthundert Jahren grassierte. Seitdem scheint sie nirgendwo mehr aufgetreten zu sein. Daher…«
    »Das stimmt nicht. Sie trat anschließend noch mehrmals auf. In den Jahren 577 und 750 in Italien. Aber die Ausbreitung hielt sich in diesen Fällen wohl in Grenzen, das heißt, sie verbreitete sich nicht so weit wie im Jahr 543. Dennoch waren ganze Städte und Landstriche betroffen, und viele Menschen starben.«
    »Sch, Joshua. Schau, Angélique bewegt sich. Wie rissig ihre fiebrigen Lippen sind! Lass uns ihr etwas zu trinken geben, sie scheint sehr durstig zu sein.«
    »Befeuchte nur einen Schwamm«, riet Joshua seinem Freund. »Dieser Durst ist nicht zu stillen. Er gleicht einem Fieber, das den Körper von innen her auszehrt. Wenn sie zu viel Flüssigkeit bekommt, ist es auch nicht gut.«
    »Was empfahl Evagrius gegen das Fieber?«
    »Gar nichts. Man betrachtete die Seuche damals als
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