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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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zumindest berichtete mir mein Büttel, als er Euch anmeldete. Und seid Ihr nicht gerade angekommen in Quimper? Mir erscheint es äußerst interessant, dass, wenn Ihr Recht habt, gerade in diesem Moment eine Seuche in unserer gottesfürchtigen Stadt ausbrechen soll…«
    »Mein Begleiter ist kein Jude«, fiel ihm Henri ins Wort. Er hasste es, zu lügen, und er hasste es, seinen Freund zu verleugnen. Aber sobald er begriff, was der Bürgermeister im Sinn hatte, fiel ihm nichts anderes ein, um seinen Gefährten zu schützen. »Joshua ben Shimon mag einen jüdischen Namen haben, aber er ist ein französischer Bürger aus Paris.«
    »Nun – wir werden sehen. Ich rate Euch in jedem Fall, vorsichtig zu sein! Bringt vor allem keine Gerüchte unter das Volk! Quimper ist eine ruhige, prosperierende Stadt! Pestgeschichten können wir hier nicht gebrauchen!«
    Henri stand auf. Hier kam er nicht weiter. Grußlos verließ er den Saal.
    Als er wieder auf die Straße trat, erblickte er eine Ansammlung von Menschen. Als er näher kam, sah er, dass sie sich um einen Haufen toter Ratten geschart hatten. Die Tiere lagen übereinander. Einige mit feuchtem Fell und blutigen Köpfen. Andere starr, mit harten Schnauzen.
    »Die Ratten kriechen aus ihren Löchern!«, feixte ein Alter mit lichtem, weißem Haar. »Sie haben die Einsamkeit in der Tiefe satt. Sie suchen unsere Gesellschaft. Aber sie nippein ab, bevor sie uns erreichen.«
    Im gleichen Moment erblickte Henri den Büttel des Bürgermeisters. Er hastete zum Rathaus zurück. Henri packte ihn am Gürtel.
    »Nun?«
    Entgeistert starrte ihn der Mann aus kleinen, geröteten Augen an. »Mein lieber Mann! Mein lieber Mann!«, sagte er. Mehr brachte er nicht heraus.
    Dann riss er sich los. Henri ließ ihn laufen. Alles nimmt seinen Weg, dachte er. Vielleicht werden wir uns noch wünschen, in Marseille oder in Arles geblieben zu sein, obwohl uns das helle, reine Quimper lange Zeit wie ein Licht in tiefer Dunkelheit erschien.
     
     
    Uthman hielt es in der Herberge nicht mehr aus. Er scheute sich aber auch, Angélique an ihrem Krankenlager aufzusuchen. Er kannte das Mädchen kaum, und helfen konnte er ihr auch nicht. Daran gemessen war die Gefahr, sich bei ihr anzustecken, viel zu groß. Uthman beschloss, Henri zu suchen. Auf dem Weg in die Stadt gingen ihm zahlreiche Gedanken durch den Kopf. Er hatte Henri erzählt, dass arabische Ärzte immer auch eine astrologische Ausbildung erhielten. War dieser Tatsache nicht sogar die Erfindung des Astrolabiums zu verdanken? Gewiss, das war ein nautisches Instrument, mit dem Seefahrer ihre Position bestimmen konnten, aber entwickelt hatten es, sofern Uthman wusste, arabische Mediziner. Dieselben Mediziner, die gewusst hatten, dass die Ordnung der Körpersäfte vom Stand der Sterne abhängig ist – bei Menschen ebenso wie bei Tieren.
    Der letzte Gedanke machte den Sarazenen stutzig. Sollte dies etwa der Grund für das große Rattensterben sein, dass zurzeit in der Stadt zu beobachten war? Litten etwa auch die Ratten unter dem Stand der Sterne? Uthman war kein Astrologe. Er kannte lediglich den Abend- und den Morgenstern, und er wusste, dass der Mars, den man jetzt am Himmel über Quimper erblicken konnte, ein rötliches Licht ausstrahlte. Uthman blickte zum Firmament hinauf. Ihm schien, als strahle der rote Planet heute besonders stark. Wollte dieser Kampfstern, von dem sich die großen Heere der Vergangenheit Kraft und Siegesglück versprochen hatten, ihm etwas mitteilen?
    Während er so gedankenverloren in den Himmel blickte, achtete Uthman kaum noch auf den Weg vor seinen Füßen.
    Und da geschah es. Er rutschte aus und spürte etwas Glitschiges unter seinem Fuß. Als er sah, was es war, fluchte er leise. Eine tote Ratte. Schon wieder eine! Unter den Menschen in Quimpers Straßen ging das Leben allerdings sorglos weiter. Vielleicht haben sie ja Recht, dachte Uthman. War es nicht besser, eine Ordnung vorzutäuschen, als gar keine zu haben?
    Der Sarazene versuchte, sich zu erinnern, was er über die Pest gelesen hatte. Ihm war klar, dass bislang kein Medicus die Ursache für die Pestilenzen entdeckt hatte, die die Menschheit regelmäßig überfielen. Ebenso wenig konnten die Mediziner sagen, wie oder warum sich diese Seuchen so schnell verbreiteten. Sie tappten im Dunkeln. Und die Schutzmaßnahmen, die sie verkündeten, unterschieden sich so drastisch, dass Uthman nicht wusste, was er von ihnen halten sollte. Ein italienischer Gelehrter hatte
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