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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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Himmelskörper, der alle in Unruhe versetzt hatte.
    Als er das Rathaus betrat, hörte er Musik und fröhliches Lachen. Er stieg die Treppe zum Sitz von Maire Michel empor. In den Gängen feierten Kalfaktor, Stadthauptmann und Vogt den Erfolg der Reliquienschau. Wie man hörte, platzte die Stadtkasse durch die zusätzlichen Einnahmen bald aus allen Nähten, und mit Quimper ging es immer weiter aufwärts.
    Henri ließ sich von einem Büttel anmelden. Der Bürgermeister empfing ihn mit einem jovialen Lächeln auf den Lippen. Er war ein wohlbeleibter Mann in besten Jahren, dessen tiefschwarzes Haar erste weiße Strähnen durchzogen. Auf den ersten Blick wirkte er äußerst beeindruckend. Henri hatte ihn vor Jahresfrist allerdings als feigen Machtmenschen kennen gelernt. Maire Michel erinnerte sich jedoch anscheinend nicht mehr an ihn.
    »Wie war Euer Name? Roslin? Dann stammt Ihr aus der Grafschaft Midlothian, nicht wahr? Ja, ich kenne mich da oben aus. Ich reiste selbst einmal nach Edinburgh.«
    »Ich komme nicht zum Plaudern.«
    »Aha«, entgegnete der Bürgermeister und klang dabei wenig begeistert. Ein verkniffener Zug bildete sich um seine Lippen. An diesem Tag war ihm nach Feiern zumute. Das Letzte, was er hören wollte, waren schlechte Nachrichten. »Was ist es denn, das nicht bis morgen warten kann?«
    »Ich muss Euch eine schwere Erkrankung melden. Es könnte sich um eine gefährliche Seuche handeln. Ihr müsst sofort verhütende Maßnahmen ergreifen, sonst ist ganz Quimper in Gefahr.«
    Als der Bürgermeister das hörte, musste er sich setzen. »Ihr seid Kaufmann, nicht wahr?«, sagte er. »Dann wisst Ihr sicher, was geschieht, wenn ich den Leuten sage, dass eine Seuche in der Stadt umgeht?«
    »Ja, dann erliegt alles. Aber so weit soll es gar nicht kommen. Ergreift geeignete Maßnahmen, dann können wir das Schlimmste vielleicht abwehren.«
    »Von welcher Seuche sprecht Ihr denn?«
    »Von der Pest.«
    Maire Michel stützte seine Fäuste auf die Tischkante und stemmte sich so langsam empor, dass es bedrohlich wirkte, fast so, als müsse er eine aufbrausende Wut unterdrücken. »Wie bitte? Ich glaube, ich höre nicht recht. Doch egal, was Ihr gesagt habt, ich will nichts mehr davon hören. Ich verbiete Euch, darüber zu sprechen. Habt Ihr verstanden? Sprecht von etwas anderem, oder die Audienz ist beendet.«
    »Maire Michel! Mir ist nicht zum Spaßen zumute! Schickt selbst einen Arzt ins Haus von Buchmaler Maxime. Dort liegt seine Tochter und ringt mit dem Tod! Lasst sie untersuchen! Und dann urteilt selbst!«
    Der Bürgermeister ließ sich wieder in seinen Armsessel fallen. Henri sah ihm an, wie er mit seinen Gedanken rang. Dann griff er nach einer kleinen Glocke und läutete. Dem Büttel, der daraufhin erschien, gab er die Anweisung, Henris Behauptung zu überprüfen. Wenn er von dem Krankenlager zurückkomme, solle er unverzüglich Meldung machen.
    »Es müssen Schutzmaßnahmen ergriffen werden, Bürgermeister!«, mahnte Henri, als der Büttel gegangen war. »Noch ist es früh genug!«
    Maire Michel reagierte ablehnend: »Ich will von einer Pest nichts hören, verstanden! Und Euch lasse ich einsperren!« Mehr an sich selbst gerichtet, fuhr er fort: »Falls es sich wirklich um eine Seuche handelt, haben die Juden Schuld daran. Man hätte sie nicht wieder ins Land lassen sollen. Wozu haben wir sie vor ein paar Jahren vertrieben, wenn sie jetzt wieder zurückkommen und Ärger machen dürfen?«
    »Die Juden?«
    Der Bürgermeister hatte seinen Blick nach innen gerichtet. »Man hat das vor einem Jahr in Chinon an der Vienne ganz richtig gemacht!«, murmelte er und strich sich über die vollen, scharf konturierten Lippen, die feucht glänzten. »Dort hat man das Judenpack ein zweites Mal vertrieben. Diesmal allerdings weniger freundlich als 1306, als man diese Hunde in aller Form aufforderte, zu gehen. Welch ein Unsinn, sie wieder anzusiedeln, wenn doch klar ist, dass es dann wieder Pogrome geben wird. Beim zweiten Mal hat man sie ausgeräuchert. Und das hätte man auch in Quimper tun sollen, dann hätten wir heute nicht dieses Problem!«
    »Maire Michel! Um ein Problem dieser Größenordnung in den Griff zu bekommen, sind medizinische Maßnahmen vonnöten! Vorurteile gegen Juden nutzen uns gar nichts!«
    Dieser Einwand ließ den Bürgermeister aufhorchen. »Befindet sich nicht ein Jude in Eurer Gesellschaft, oder zumindest ein Mensch, der verdächtig jüdisch aussieht und auch einen jüdischen Namen trägt? Das
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