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Treibhaus der Träume

Treibhaus der Träume

Titel: Treibhaus der Träume
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich zu beiden Seiten des Sprunggelenkes aus.
    »Das sieht übel aus«, sagte die junge Frau kläglich.
    »Das Bein? Durchaus nicht.«
    Die junge Frau lächelte tapfer. »So sind Ärzte«, sagte sie. »Auch noch spotten.«
    »Wenn Sie ein Kind wären, müßte man Ihnen die Hosen strammziehen. Auf einen fahrenden Schnellzug aufspringen. Wie weit fahren Sie?«
    »Bis München.«
    »Auch das noch. Werden Sie abgeholt?«
    »Ja.«
    Dr. Lorentzen fragte nicht weiter. Was geht mich das an, dachte er. Natürlich wird sie abgeholt. Die Frage war blöd. Er tastete noch einmal den Knöchel ab und betrachtete den kleinen schmalen Fuß. Dann nahm er das Handtuch und die Kognakflasche und schüttete einen gehörigen Guß Kognak in das Handtuch. Mit großen Augen sah ihm die junge Frau zu und zuckte zusammen, als er das nasse, kalte Handtuch über ihren Knöchel legte und den Fuß hineinwickelte.
    »Als provisorische Kompresse«, sagte er dabei. »Jetzt ist Alkohol das beste gegen die Verstauchung.«
    Die junge Frau lächelte wieder. »Das ist mein erster Verband mit Kognak«, sagte sie.
    »Zu Hause müssen Sie unverdünnten Weingeist nehmen. Und rufen Sie sofort ihren Hausarzt an. Er soll Ihnen eine Salbe verschreiben.«
    »Können Sie das nicht, Herr Doktor?« Die junge Frau legte sich zurück auf den zusammengefalteten Mantel. Sie hatte den Gürtel ihres Trenchcoats gelöst und ihn geöffnet. Ein hellrotes Kleid spannte sich über einen ebenmäßigen Körper. Wie zwei Hügel hoben sich die festen, gar nicht kleinen Brüste ab. Das blonde Haar floß etwas zerzaust über die dunkelblauen Polster der Wagensitze.
    »Nein.« Dr. Lorentzen wandte sich wieder ab, schraubte die Kognakflasche zu und hob die Aktentasche ins Gepäcknetz zurück. »Ich habe keinen Rezeptblock bei mir.«
    Dann lag Schweigen zwischen ihnen. Er blickte hinaus auf die vorbeiziehende Landschaft. Bauerndörfer, schwarzbunte Kühe, rote Dächer, Gemüsefelder, Kanäle, Flecken von weißem Sand, einige Steinhaufen. Lawinenschutt aus vergangenen Jahrmillionen.
    Sie beobachtete ihn, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. In dem verstauchten Fuß klopfte und stach es, aber sie verbiß tapfer den Schmerz. Im Abteil roch es nach Schnaps wie in einer billigen Kneipe. Aber der Kognakverband tat gut, er kühlte herrlich.
    Wie ernst und abweisend er ist, dachte sie. Unpersönlich und unverbindlich höflich. So benehmen sich die Klinikärzte. Menschen sind Fälle für sie. Da gibt es keine Namen, da heißt es nur: Der Appendix von Zimmer 12. Die Mamma-Amputation von 19. Der Anus praeter von 34.
    Und dabei ist er ein schöner Mann. Groß, na, schätzen wir: 1,85. Alter? Man könnte sagen: Mitte Vierzig. Die Schläfen werden schon grau, aber sein leicht gelocktes Haar ist noch von einer tiefen Bräune. Er hat hellbraune Augen, wie ein Reh. Sein Kinn ist eckig, das Gesicht länglich. In den Augenwinkeln und um den Mund herum zittern Fältchen, wenn er spricht oder lächelt. Er hat schöne, schlanke Hände. Seine Stimme ist weder dunkel noch hell, und doch muß man ihr zuhören und ist von ihr wie von Musik umgeben.
    Sie sah von ihm weg zur Seite gegen die blauen Polster. Verrückt, dachte sie. Was hast du, Marianne?! Sich so mit einem Mann zu beschäftigen. Wie ein kleines verliebtes Mädchen, das einen Primaner anschwärmt, weil er den Caesar zitieren kann. Sieh ihn dir doch an: Er will gar nichts von dir wissen. Du bist für ihn nur die Distorsion des rechten Sprunggelenkes.
    »Ich mache Ihnen Mühe, nicht wahr?« fragte sie in die Stille hinein. Es war ihr, als zuckte er zusammen.
    »Gar nicht, gnädige Frau. Tut's noch weh?« Er sah auf ihre entblößten Beine. Sie hatte den Kleiderrock nicht wieder heruntergezogen.
    »Wenn ich den Fuß bewegen will …«
    »Bloß nicht! Ganz ruhig halten. Das Bein gehörte in eine Gipsschale, damit Sie Halt und Ruhe haben.«
    »Sie sind Orthopäde?« fragte die junge Frau, ihn interessiert anblickend.
    »Nein.« Er erhob sich und verbeugte sich kurz. »Lorentzen. Lutz Lorentzen.«
    »Marianne Steegert.«
    »Nach einer Stunde kühlen wir erneut. Die Flasche reicht für dreimal Verbandwechsel. Im Speisewagen kann ich dann Nachschub holen. Vielleicht haben sie dort auch Himbeergeist. Das hat mehr Alkoholprozente.«
    Marianne Steegert sah Dr. Lorentzen interessiert an. Es ärgerte sie, daß er so förmlich war. Ihr weiblicher Stolz litt darunter. Sie wußte, wie sie auf Männer wirkte. Wenn sie zu Hause im engen Sportdreß über die Wiesen
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