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Treibgut der Strudelsee

Treibgut der Strudelsee

Titel: Treibgut der Strudelsee
Autoren: Horst Hoffmann
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Eiland der Glücklichen.«
    *
    Das Eiland der Glücklichen…
    Mythor ließ sich diese Worte auf der Zunge zergehen, während sein Befreier ihn landeinwärts führte. Der schmale Küstenstreifen aus weißem Sand und hier und da schroffen Klippen blieb hinter ihnen zurück. Ein Pfad führte durch blühende Büsche und schulterhohes, saftiges blaues Gras. Das Singen und Lachen wurde lauter.
    Noch immer fiel es Mythor schwer zu glauben, dass das, was er sah und hörte, Wirklichkeit war. Zu rasch war der Wechsel erfolgt. Eben noch hatte er in den Fluten des unbarmherzigen Strudels um sein Leben gebangt, hatte er dem Grauen an Bord der Gasihara ins Auge geblickt und einen bis zuletzt aussichtslos erscheinenden Kampf gegen den Schatten gekämpft. Und nun führte ihn ein nur spärlich bekleideter Mann in ein Paradies.
    Mythor ging hinter ihm her und betrachtete bewundernd die samtbraune, makellose Haut des Fremden, der jeden Fußbreit dieses Eilands zu kennen schien. Wer war er? Wer waren die anderen, die er hörte?
    »Wie heißt du?« fragte er, als der Bärtige haltmachte und eine Ziege streichelte, die ohne Scheu aus dem Gebüsch hervorgekommen war und ihn aus großen runden Augen anblickte.
    Der Mann sah auf, strich sich das lange, lockige Haar aus der Stirn und lächelte wieder.
    »Was sind Namen, mein junger Freund – Worte, die der Wind einfängt und davonträgt. Bald wirst auch du lernen zu vergessen. Früher nannte man mich Nilombur.«
    »Ich bin Mythor«, sagte der Sohn des Kometen.
    »Mythor…« Nilombur legte eine eigenartige Betonung in das Wort, betrachtete sein Gegenüber und nickte langsam. »Ein bedeutungsschwerer Name, wahrhaftig.«
    Das Verhalten Nilomburs verwirrte Mythor. Zum erstenmal spürte er so etwas wie Unwillen. Aber erfüllte ihn nicht bereits der Zauber dieses Paradieses?
    »Komm!« sagte der Bärtige. »Sie erwarten uns.«
    »Wer?«
    »Mein Volk, die Menschen, die hierhergefunden haben und die Bürde ablegten, die ihnen das Leben draußen zu tragen gab.«
    Sie schritten weiter; Nilombur teilte das Gras mit den kräftigen Armen und hob ein kleines Pelztier auf seine Schulter.
    »Dein Volk?« fragte Mythor weiter. »Dann bist du der Herrscher des Eilands?«
    »Wir brauchen keinen Herrscher, Mythor. Vergiss, dass es Hass, Not und Elend gibt, Neid und Missgunst. Wer Fragen hat, kommt damit zu mir und lässt sich von mir beraten. Wenn ein Mann ein Weib gefunden hat, mit dem er den ewigen Bund eingehen möchte, dann kommen sie zu mir, um diesen Bund zu besiegeln. Aber du wirst ja sehen.«
    Wieder regte sich Widerspruch in Mythor. Eine solche Welt, wie Nilombur sie beschrieb, gab es nicht, konnte es nicht geben. Auch wenn dieses Land inmitten des Strudels lag – ringsum herrschten dennoch Hass und Krieg, im Norden wie im Süden.
    Dann wieder dachte er an Leone. Sollte auch dieses Eiland eine Insel des Lichtes sein?
    »Ich habe dir noch nicht gedankt, Nilombur«, hörte er sich sagen. »Ohne dich wäre ich…« Er hielt inne. »Hast du mich durch Zufall gefunden?«
    »Wir wussten, dass du kommen würdest«, antwortete der Bärtige mit der geduldigen Stimme eines Weisen, der einen allzu neugierigen Schüler zufriedenzustellen hatte.
    Und bevor Mythor eine weitere Frage stellen konnte, wich das Gras zu beiden Seiten und gab den Blick frei auf einen großen, von mächtigen Bäumen geschützten Platz, auf dem Männer und Frauen jeden Alters zwischen Hütten aus Holz und Stroh saßen und den verschiedensten Beschäftigungen nachgingen. Der Duft von gebratenem Fleisch stieg Mythor in die Nase, und erst jetzt wurde er sich seines knurrenden Magens bewusst .
    Nilombur ließ Mythor an sich vorbeitreten. Zwei Mädchen, nicht älter als fünfzehn Sommer, kamen auf ihn zugelaufen und legten ihm Kränze aus geflochtenen Blumen um den Hals. Andere winkten und lächelten freundlich. Und wahrhaftig: Noch nie hatte Mythor Menschen gesehen, die glücklicher waren als jene, die sich nun um ihn und Nilombur scharten.
    Keiner von ihnen stellte Fragen. Niemand wollte wissen, wer er sei und woher er komme. Aber sie ließen ihn durch ihre Blicke, ihr Lächeln und ihre Gesten spüren, dass er nun zu ihnen gehörte.
    »Du bist hungrig«, sagte Nilombur. »Geh und lass dir von allem geben. Was unser ist, soll fortan auch deines sein. Sobald die Sonne den Lichtern des Himmels weicht, wird ein Fest beginnen, für dich und die anderen.«
    »Die… anderen?«
    »Natürlich. Die meisten unserer Männer sind dorthin unterwegs, wo
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