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Treibgut der Strudelsee

Treibgut der Strudelsee

Titel: Treibgut der Strudelsee
Autoren: Horst Hoffmann
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Unvorstellbares, das von ihm Besitz ergriffen hatte, irgendwo dort unten in der Tiefe. Kein Mensch konnte sich so lange am Schiff festklammern, wie Oblak es getan zu haben vorgab. Kein Mensch…
    Niemand redete mehr. Niemand wagte, Fragen zu stellen, denn zu groß war die Furcht vor einer Antwort. Wütend und verbissen ruderten die Legionäre. Die Lichtfähre war wieder auf Kurs.
    Und dunkle Wolken schoben sich erneut vor den blutroten Ball der untergehenden Sonne, als endlich der Gongschlag ertönte und die Ruderer von den Stangen losgebunden wurden. Eine Bank nach der anderen wurde neu besetzt. Als die Reihe an Mythor war, starrte er an den Aufsehern vorbei aufs Meer hinaus.
    Winzige Windhosen waren plötzlich überall auf dem Wasser, umtanzten die Gasihara und wirbelten Gischt zu ihr hinauf.
    Der Spuk verschwand so schnell, wie er gekommen war. Dafür verfinsterte sich der Himmel umso mehr, und es war nicht das Dunkel der Nacht, das sich da von Osten heranschob.
    *
    Steinmann Sadagar und Chrandor waren gerade dabei, die Pfeilspitzen in eine neue Kiste zu schaufeln, als die Ablösung erfolgte. Zwei Seefahrer standen hinter ihnen und ließen sie nicht aus den Augen. Noch, so höhnten sie, habe der Kapitän keine Zeit gefunden, sich persönlich um sie zu kümmern. Aber das würde er bald nachholen.
    Chrandor ließ sich davon offenbar überhaupt nicht beeindrucken. Baß saß wieder unter dem Stulpenhandschuh am linken Armstumpf und nahm den Platz der abgetrennten Hand ein. Vorher hatte das Schleimwesen seinem Herrn und Meister durch eine komplizierte Zeichensprache zu verstehen gegeben, was es in der Unterkunft des Kapitäns und des Magiers belauscht hatte. Chrandor konnte es gerade noch für Sadagar übersetzen, bevor sie von den Aufsehern gepackt und zum Heck geschleift wurden.
    »Chrandor!« flüsterte Sadagar, ohne aufzusehen, als die Schritte der Legionäre schwer über die Bohlen dröhnten. »Bei diesen Männern, die jetzt unter Deck gebracht werden, sind Mythor, mein Freund, und der Schatz dieses Mädchens.«
    »Ja und?« fragte der ehemalige Pirat, ebenfalls in seine Arbeit vertieft.
    »Wir müssen zu ihm.«
    »Unter Deck? Sadagar, du bist des Wahnsinns!«
    »Ich werde gehen«, zischte der Steinmann eine Spur zu laut.
    »Ihr sollt schaufeln!« knurrte einer der Aufseher.
    Chrandor wartete, bis der Seefahrer den Blick wieder für einen Moment abwandte, dann fragte er flüsternd: »Und wie willst du das schaffen, Steinmann? Du weißt doch wohl, dass du ohne meine Hilfe wie ein Krieger ohne Schwert bist?«
    Sadagar zog eine Grimasse. Er gab noch keine Antwort, sondern wartete ab, bis die polternden Schritte endlich verstummt waren, die Ruder neu besetzt und die Abgelösten unter Deck. Wind frischte auf, und leichter Nieselregen fiel. Der Himmel verdunkelte sich nun zusehends. Die Nacht brach bald herein. Noch lagen weit über die Hälfte der Pfeilspitzen zwischen den Kisten.
    »Du machst also mit, Chrandor?« flüsterte der Steinmann, verstohlen nach den Wachen schielend, die sich gerade unterhielten.
    »Sadagar, du bist ein sturer…«
    »… Hund, ich weiß. Dann pass auf und tu das gleiche wie ich!«
    Der Pirat begriff nicht. Dann, als der Steinmann zwei Handvoll Pfeilspitzen hoch in die Luft warf, aufsprang und darunter tanzte wie ein Verdurstender im lang ersehnten Regen, riss er den Mund sperrangelweit auf und fasste sich mit Aß an die Stirn.
    »He!« rief einer der Seefahrer. »Welcher Dämon ist in dich gefahren, Kerl?«
    »Ich bin Croesus!« jubilierte Sadagar, tanzte, bückte sich und warf weitere Pfeilspitzen in die Höhe. »So reich wie Croesus aus Sarphand! Reich, reich! Meine Hände verwandeln alles in Gold!«
    »Hör auf!« brüllte der Aufseher und ließ die Peitsche knallen. »Schluss damit, oder wir…«
    »Croesus, Croesus!«
    Endlich begriff Chrandor und schaufelte gleich vier, fünf Dutzend Pfeilspitzen hoch in die Luft. Unter dem schimmernden harten Regen reichte er Sadagar die rechte »Hand« und tanzte mit ihm einen Reigen. »Reich, wir sind reich!« riefen sie im Chor. »Reich, reich!«
    Die Seefahrer sahen sich an, als erlebten sie einen bösen Spuk. »Aufhören, ihr beide! Oder wir peitschen euch die Lust auf Gold aus!«
    »Reich, reich! Croesus, Croesus!« sangen die beiden »Besessenen«.
    Die Peitschenriemen zogen ihnen die Beine unter dem Körper weg, dass sie hart auf die nassen Planken fielen.
    »Unter Deck mit ihnen!« dröhnte da die Stimme des Kapitäns. »Ich werde sie schon
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