Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Treffpunkt Irgendwo

Titel: Treffpunkt Irgendwo
Autoren: Thomas Fuchs
Vom Netzwerk:
wir plötzlich im Schnee vor einem besetzten Haus. Die Laternen direkt vor dem Haus waren kaputt, das Haus schimmerte in einem leicht gelben und fahlen Licht.
    »Hey, du, gib mir mein Handy zurück!«, forderte ich lautstark, bevor der Kerl den anderen hinterher über die Barrikaden aus alten Möbeln und Metallstangen in dem Eingang verschwinden konnte.
    »Hau ab!« Er drehte sich zu mir um.
    »Nicht ohne mein Handy!«, beharrte ich und sah dem Jungen zum ersten Mal ins Gesicht. Seine Augen sahen müde aus. »Gib es mir zurück! Sonst…«
    »Was, sonst, holst du die Bullen?«, fragte ein Mädchen neben mir, während es sich eine Zigarette ansteckte. Sie schienen sich hier wirklich in Sicherheit zu fühlen.
    »Wohl kaum«, antwortete ich ruhig, wobei ich total von mir selbst überrascht war, dass ich so cool blieb. »Aber ich dachte, Kerle wie ihr beklauen keine Schüler?«
    »Was weißt denn du schon.« Er zuckte mit den Schultern, lächelte unvermittelt und griff in die Tasche seiner Lederjacke. »Ach, was soll’s.«
    Ich fing das unvermittelt auf mich zufliegende Handy auf, sagte »Danke!«, drehte mich um und ging. Nachdem ich ein paarmal ziellos abgebogen war, stand ich plötzlich am Hackeschen Markt. Endlich wusste ich wieder, wo ich war. Ich betrat das Café in der Nähe des S-Bahnaufgangs und setzte mich an die Bar. Mein Handy hatte ich noch immer fest umklammert in der linken Hand.
    »Eine Cola bitte!«
    Als die Bedienung mir das Glas auf die Theke stellte, wollte ich danach greifen. Aber ich konnte es nicht, denn von null auf jetzt fingen meine Hände an zu zittern. Zum Glück saß ich auf dem schwarzen Lederhocker, denn auch meine Beine waren plötzlich so schlabberig. Ich legte das Handy neben das Glas. Tränen stiegen mir in die Augen, ich konnte nicht mehr.
    Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis ich mich wieder so weit beruhigt hatte, dass ich einen Schluck trinken konnte. Die süße und kalte Flüssigkeit holte mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Ich wählte Mias Nummer.
    »Jana!«
    »Hey, Mia. Ich hab’s wieder.«
    »Wo bist du?«
    »Ähm, Sekunde!« Ich packte die Speisekarte, die vor mir lag, und las: »Hackescher Hof, direkt am Hackeschen Markt. Und ihr?«
    »Oranienburger Straße. Wir sind bis Nordbahnhof und dann zurück. Mensch, Jana, wir haben uns Sorgen gemacht. Hier ist tierisch was los. Überall Polizisten und so.«
    »Es geht mir gut.«
    »Bleib, wo du bist, wir kommen zu dir!«
    »Okay.«
    Erleichtert beendete ich das Gespräch. Erst jetzt registrierte ich, in was für einem noblen Laden ich gelandet war. An den Tischen saßen Leute im Alter meiner Eltern, die Bedienungen hatten bodenlange weiße Schürzen, es war alles irgendwie edel. Was für ein Kontrast. Das hier und die Hinterhöfe, in denen ich noch vor wenigen Minuten war. Eingekesselt von der Polizei, Pfefferspray und Schlagstöcke, Vermummte, Hausbesetzer – und nun hier Argentinisches Entrecôte vom Grill für 17,40 Euro.
    Ich seufzte, versuchte, diese beiden Welten in meinem Kopf zusammenzubekommen. Die Bilder der letzten halben Stunde waren irgendwie nicht wirklich. Es fühlt sich nicht so an, als hätte ich das gerade tatsächlich erlebt. Es war wie nach einem Actionfilm im Kino. Wenn das Licht plötzlich wieder angeht und man benommen hinausstolpert, fremde Bilder im Kopf, Szenen aus einer anderen Welt. Die Männer in diesen futuristischen Kampfanzügen mit diesen dunklen Helmen, die Schilder, die Schlagstöcke, ein Albtraum. Für mich waren Polizisten bislang immer freundliche Menschen gewesen. Die einem in der Verkehrsschule beigebracht hatten, sicher über die Straße zu kommen, die man nach dem Weg fragen konnte, an die man sich wenden sollte, wenn man in Not war oder die einen schützend bei einem Demozug begleiteten. Doch mit dieser Polizei hatten diese Leute nichts gemein gehabt. Sie hatten mir Angst gemacht, waren wie Krieger, Transformer, die Kampfmaschinen aus Avatar. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben richtige Angst gehabt, wurde mir klar. Echte Angst, nicht so einfacher Bammel, wie wenn ich abends beim Nachhausegehen von der Dämmerung überrascht worden war oder wenn früher meine Eltern ausgegangen waren und ich im Haus komische Geräusche hörte. Nein, das vorhin in der dunklen Straße in diesem flackernden, kalten blauen Polizeilicht war anders gewesen. Ich hatte mich den gepanzerten dunklen Gestalten, deren Gesichter ich nicht sehen konnte, so ausgeliefert gefühlt. Vollkommen hilflos war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher