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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit
Autoren: Barbara Wood
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überdeutlich wahr, sie war überwach. Dann sah sie die Regenbogenschlange – und dann ihre Mutter.
    Joanna stand am Wasser.
    »Mutter?« rief Lisa.
    Joanna drehte sich um. »Lisa! Wie kommst du hierher?«
    »Ich hatte Angst. Ich konnte nicht länger dort oben auf dich warten.« Lisa lief zu ihr, und Joanna ergriff ihre Hand. Sie ging mit ihrer Tochter zum Wasser. Sie tauchte die Schale in das glasklare Wasser und reichte sie ihr. Lisa trank und fand, daß das Wasser so schmeckte, wie es aussah: klar und rein.
    »Was ist das für ein Ort, Mutter?« fragte sie.
    »Hier haben Generationen um Generationen von Frauen die Schöpfung gefeiert und die Wiedergeburt des Lebens.«
    »Was für ein Ritual haben sie hier vollzogen?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Joanna. »Vielleicht haben sie ihren Töchtern ein geheimes Wissen weitergegeben. Deine Großmutter war hier … vor vielen Jahren. Vielleicht hat sie erlebt, wie die Traumpfade von den Müttern auf die Töchter übertragen wurden.«
    Lisa sah sie verwirrt an. »Aber ich dachte immer, ein Traumpfad sei eine Art Weg.«
    »Wir sind der Traumpfad, Lisa – Mütter und Töchter. Und ich frage mich, ob dies das ›andere Erbe‹ ist, von dem meine Mutter gesprochen hat. Vielleicht hat man ihr erzählt, daß sie eines Tages mit ihrer Tochter hierher zurückkommen werde, um die Schönheit dieses Heiligtums zu erleben. Aber das war ihr nicht vergönnt. Sie ist gestorben, ohne das Geheimnis zu lüften, ohne das Rätsel zu lösen.«
    Lisa spürte die Kraft des Berges, die sie umgab. »Was haben wohl die Mütter hier zu ihren Töchtern gesagt?«
    Joanna sah Lisa an und dachte: Du bist die Tochter, die ich mir gewünscht habe. Du bist meine Freude. Du bist du. Du bist vollkommen du selbst, und doch bist du auch ein Teil von mir. Ich werde dir unseren Traumpfad zeigen. Ich werde dich lehren, auf die Musik in deinem Innern zu hören, auf die Klänge deiner Intuition. Und dann dachte sie: Vielleicht haben das die Frauen in all den vielen tausend Jahren hier in dieser Grotte zu ihren Töchtern gesagt. Vielleicht war es einfach das.
    Lisa blickte zu der Regenbogenschlange hinauf. »Hat meine Großmutter diese Schlange in ihren Träumen gesehen?«
    »Ja, ich glaube, das ist sie. Sieh sie dir gut an. Lisa. Unter den Farben befinden sich die natürlichen Gesteinsschichten. Kannst du sehen, daß auch sie den Leib einer riesigen Schlange bilden? Ich glaube, vor sehr langer Zeit, als Menschen diesen geheimen Ort entdeckt haben, sahen sie eine im Stein eingeschlossene Schlange, und sie begannen, sie zu verehren. Im Laufe der Jahrhunderte haben sie die Schlange verziert und bemalt, um sie schöner zu machen.«
    »Mutter!« Lisa deutete auf den Kopf der Schlange. »Sieh mal, das Auge der Schlange!«
    Joanna blickte zu dem aufgerichteten Kopf der Regenbogenschlange hinauf. Man sah ihn im Profil, und deshalb hatte er nur ein Auge. Aber das Auge war eine Höhlung im Gestein. Es schien mit einem Messer ausgehöhlt worden zu sein.
    »Der Opal«, sagte Lisa, »von dort muß der Opal herkommen!«
    Joanna öffnete den Lederbeutel und holte den Feueropal heraus. Er fühlte sich warm an in ihrer Hand und funkelte rot und grün. Sie blickte zu dem Bild an der Felswand. Die Höhlung für das Auge hatte die Größe und die Form des Opals. »Lisa«, sagte sie, »das muß das Verbrechen sein, das mein Großvater beging! Er hat sich unbemerkt in die Höhle geschlichen und das Auge der Regenbogenschlange gestohlen.«
    Sie blickte wieder auf die Schlange und sah noch etwas, das ihr bis jetzt entgangen war: am unteren Rand der Felswand waren in scharfen Konturen Hunde eingeritzt – viele Hunde!
    »Mein Gott«, murmelte sie, »Naliandrah hatte recht. Erinnerst du dich, Lisa? Sie hat mir am letzten
Corroboree
gesagt, daß die Antworten auf meine Fragen in mir selbst liegen? Natürlich! Jetzt verstehe ich es. Ich kenne die Antworten schon lange, aber ich mußte sie erst zusammenfügen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Diese Hunde«, Joanna deutete auf die Zeichnungen an der Wand, »galten als die Wächter der Regenbogenschlange. Das heißt, wenn jemand ein Verbrechen gegen die Schlange beging, wie es mein Großvater getan hat, dann haben die Hunde ihn bestraft. Erinnerst du dich an die Geschichte, die Naliandrah uns über Makpeej erzählt hat? Sie sagte, die Regenbogenschlange hat ihn mit Haut und Haaren verschlungen. Lisa, nicht die Schlange hat das getan, sondern die Hunde …« Joanna schloß kurz die
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