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Traumschlange

Titel: Traumschlange
Autoren: Vonda N. McIntyre
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unter dem Büschel dürrer Vegetation ein Klumpen von Hornvipern nistete, so scheußlich, daß sie mißgestaltet wirkten; sie zischten sie an. Sie achtete nicht darauf. Sie fand einen dünnen, hohen Stengel und nahm ihn mit. Ihre Hände bluteten aus tiefen Kratzern.
    Neben dem Kopf der Kobra kniete sie nieder, zwang ihre Kiefer auseinander und schob das Röhrchen tief in den Rachen, bis in die Luftröhre am Ansatz der Zunge. Sie beugte sich hinab, legte den Mund um den Stengel und blies behutsam in die Lungen. Sie nahm wahr: die Hände des Mannes,der Dunst überwachte, wie sie es verlangt hatte; seinen Atem, zuerst ein scharfes Keuchen der Verblüffung, dann unregelmäßiges Schnaufen; der Sand, der ihre Ellbogen aufschürfte, während sie sich aufstützte; den ekelerregenden Geruch der Flüssigkeit, die aus den Fangzähnen der Kobra sickerte; ihre eigene Benommenheit, die – wie sie annahm – von ihrer Erschöpfung herrührte, die sie durch Einsicht in die Notwendigkeit und Willenskraft verdrängte. Schlange atmete, atmete nochmals, verharrte, dann wiederholte sie den Vorgang, bis Dunst den Rhythmus übernahm und ohne Unterstützung weiteratmete.
    Schlange kauerte sich zurück auf die Fersen. »Ich glaube, sie schafft es«, sagte sie. »Ich hoffe, daß sie es durchsteht.«
    Sie strich sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Berührung erzeugte Schmerz; ihre Hand zuckte herab, Schmerz durchlief ihre Knochen, den Arm hinauf, in die Schulter, durch den Brustkorb, umkrallte ihr Herz. Ihr Gleichgewicht schwand. Sie fiel, versuchte sich aufzufangen, bewegte sich jedoch zu langsam, siewehrte sich gegen Übelkeit und Schwindel und errang fast die Oberhand, doch da löste die Anziehungskraft der Erde sich plötzlich in Pein auf, und sie war in Finsternis verloren, fern von jedem Halt. Sie spürte Sand, wo er ihre Wange und ihre Handflächen kratzte, aber er war weich.
    »Schlange, kann ich loslassen?«
    Sie dachte, die Frage müsse an jemand anders gerichtet sein, obwohl sie zugleich wußte, daß hier kein anderer war, um sie zu beantworten, niemand, der auf ihren Namen hörte. Sie fühlte die Berührung von Händen, und sie waren behutsam; sie wollte darauf reagieren, aber sie war zu müde. Den Schlaf benötigte sie mehr, und deshalb schob sie sie fort. Aber sie stützten ihren Kopf und setzten trockenes Leder an ihre Lippen, flößten ihr Wasser in die Kehle. Sie hustete und würgte und spie es aus. Sie erhob sich auf einen Ellbogen. Als ihr Blickfeld sich klärte, bemerkte sie, daß sie zitterte. Ihr war zumute wie nach ihrem ersten Schlangenbiß, bevor ihre Immunität sich völlig entwickelt hatte. Ihr Helfer kniete über ihr, in der Hand seine Feldflasche. Hinter ihm kroch Dunst davon in die Dunkelheit. Schlange vergaß das Pochen des Schmerzes.
    »Dunst!«
    Der junge Mann schrak auf und fuhr entsetzt herum; die Schlange bäumte sich empor, fast so hoch, wie das Mädchen groß war, wenn es aufrecht stand, ihre Kapuze blähte sich, sie schaukelte, beobachtete voller Grimm, bereit zum Biß. Sie bildete einen ruhelosen weißen Strich gegen das Schwarz. Schlange zwang sich zum Aufstehen, wobei sie sich fühlte, als versuche sie sich mit der Beherrschung eines wildfremden Körpers. Beinahe stürzte sie erneut, konnte jedoch das Gleichgewicht
    bewahren.
    »Sie darf jetzt nicht zur Jagd ausgehen«, sagte sie. »Hier gibt es für Sie Arbeit.«
    Schlange streckte die Hand zur Seite aus, als Köder, falls Dunst zubiß. In der Hand wütete dumpfer Schmerz. Schlange fürchtete keinen Biß, sondern den Verlust des Inhalts der Giftsäcke.
    »Komme Sie her«, sagte sie zu Dunst. »Komme Sie her und fasse Sie sich.«
    Sie bemerkte, daß Blut durch ihre Finger sickerte und empfand die Furcht um Stavin mit erhöhter Stärke.
    »Hat Sie mich gebissen, Kreatur?« Aber es war nicht der entsprechende Schmerz; Gift hätte sie gelähmt, und das neue Serum würde nur brennen...
    »Nein«, flüsterte hinter ihr der junge Mann.
    Dunst stieß zu. Die Reflexe einer langen Ausbildung griffen ein; Schlanges Rechte ruckte weg, ihre Linke packte Dunst, als sie den Kopf zurückzog. Die Kobra wand sich für einen Moment und erschlaffte dann.
    »Sie altes Vieh«, sagte Schlange. »Schande über Sie.«
    Während sie sich umdrehte, gestattete sie Dunst, ihren Arm hinauf und auf ihre Schulter zu kriechen, wo sie sich wie der Umriß eines unsichtbaren Umhangs anschmiegte und den Schwanz wie den Zipfel einer Schleppe schleifen ließ.
    »Sie hat mich
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