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Traumschlange

Titel: Traumschlange
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Schlanges Mitgefühl, und sie machte sich nichts aus Anteilnahme am Kummer.
    »Ein so kleines Geschöpf«, sagte sie. »Ein so kleines Geschöpf, das nur Freude und Träume schenken konnte.«
    Ihr Blick ruhte noch einen Moment lang auf ihnen, dann wandte sie sich wieder dem Zelt zu.
    »Warte...« Sie hörte den älteren Gatten dichtauf folgen. Er faßte sie an der Schulter; sie streifte seine Hand ab. »Wir geben dir alles, was du willst«, sagte er, »aber laß das Kind in Ruhe.«
    Wutentbrannt wirbelte sie herum. »Soll ich Stavin wegen eurer Dummheit sterben lassen?« Er erweckte den Eindruck, als wolle er sie zu hindern versuchen. Sie rammte ihm ihre Schulter wuchtig in die Magengrube und sprang durch die Zeltklappe. Drinnen kippte sie mit einem Tritt die Schachtel um. Sand kroch heraus, roh geweckt und erbost, und rollte sich zusammen. Als der jüngere Ehemann und die Frau sich Zutritt verschaffen wollten, zischte Sand und betätigte seine Klapper mit einer Heftigkeit, wie Schlange sie nie zuvor erlebt hatte. Sie drehte sich nichtum. Sie zog den Kopf ein und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab, ehe Stavin sie sehen konnte. Neben ihm kniete sie nieder.
    »Was ist los?« Es ließ sich nicht vermeiden, daß er die Stimmen und das Laufen vor dem Zelt hörte.
    »Nichts, Stavin«, sagte Schlange. »Wußtest du, daß wir durch die Wüste gekommen sind?«
    »Nein«, erwiderte er voller Staunen.
    »Es war sehr heiß, und wir hatten überhaupt nichts zu essen. Gras ist auf Jagd gegangen. Er hatte solchen Hunger. Verzeihst du ihm und läßt mich nun anfangen? Ich bleibe die ganze Zeit bei dir.«
    Er wirkte sehr müde; er war enttäuscht, aber ihm fehlte die Kraft, um zu widersprechen.
    »Gut.«
    Seine Stimme wisperte wie Sand, der durch Finger rieselt. Schlange hob Dunst von ihren Schultern und zog die Decke von Stavins schmächtigem Körper. Der Tumor drückte nach oben gegen den Brustkorb, verzerrte die Regelmäßigkeit der Gestalt, preßte die Verdauungsorgane zusammen, entzog dem Körper Lebenskraft für das eigene Wachstum. Indem sie Dunst am Kopf festhielt, ließ Schlange sie über ihn gleiten, ihn betasten, ihn schmecken. Sie mußte die Kobra in nachdrücklichem Griff behalten, um sie am Beißen zu hindern; die Aufregung hatte sie aufgebracht. Als Sand klapperte, zuckte sie. Schlange sprach mit sanfter Stimme auf sie ein, beruhigte sie; angelernte und angezüchtete Reaktionen begannen sich durchzusetzen, überwanden die natürlichen Instinkte.
    Dunst verharrte, während ihre Zunge über die Haut oberhalb des Tumors leckte, und Schlange entließ sie aus der Umklammerung. Die Kobra richtete sich auf und biß zu, genau wie Kobras es eben tun; sie grub ihre kurzen Zähne einmal hinein, ließ ab, biß nochmals und fester, blieb festgebissen und kaute an ihrer Beute. Stavin schrie auf, aber er stemmte sich nicht gegen Schlanges Hände, die ihn niederdrückten. Dunst ergoß den Inhalt ihrer Giftsäcke in den Leib des Kindes und löste sich von ihm. Sie reckte sich empor, spähte rundum, ließ ihre Kapuze einsinken und glitt mit gänzlich gerade ausgestrecktem Körper über die Matten davon in ihr dunkles, enges Fach in der Lederschachtel.
    »Es ist schon alles vorbei, Stavin.«
    »Muß ich jetzt sterben?«
    »Nein«, sagte Schlange. »Jetzt nicht. Noch lange nicht, hoffe ich.« Sie holte ein Fläschchen mit Pulver aus ihrer Gürteltasche. »Mach den Mund auf.« Er gehorchte, und sie schüttelte etwas von dem Pulver auf seine Zunge. »Das ist gegen den Schmerz.« Ohne das Blut abzuwischen, legte sie über die Reihe von Bißwunden,
    die nicht tief waren, ein Schutzpolster aus Stoff. Dann wandte sie sich ab.
    »Schlange? Gehst du fort?«
    »Ich gehe nicht, ohne dir Leb wohl zu sagen. Das verspreche ich dir.«
    Das Kind sank zurück und schloß die Augen, ließ sich von der Droge überwältigen. Sand krümmte sich lautlos auf den Matten. Schlange rief ihn. Er näherte sich und mußte es hinnehmen, daß sie auch ihn wieder in die Schachtel steckte.
    Schlange schloß die Schachtel und hob sie an; sie schien noch immer leer zu sein. Sie vernahm Lärm vor dem Zelt. Stavins Eltern und andere Leute, die gekommen waren, um ihnen beizustehen, schlugen die Zeltklappe beiseite und spähten herein, fuchtelten mit Stöcken, bevor sie überhaupt hinsahen. Schlange stellte das Lederbehältnis ab.
    »Wir sind fertig.«
    Sie traten ein. Arevin befand sich ebenfalls dabei; allerdings mit leeren Händen.
    »Schlange...«
    Seine Stimme
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