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Traumschlange

Titel: Traumschlange
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Gleiten seiner Schuppen auf ihrer Haut und fing ihn ab, ehe er auf den Boden fallen konnte. Sand erhob seine obere Körperhälfte aus ihrer Hand. Er züngelte und starrte hinab auf das kleine Tier, spürte dessen Körperwärme, roch die Furcht.
    »Ich weiß, Er ist hungrig«, sagte Schlange. »Aber Er kann dieses Geschöpf nicht bekommen.« Sie setzte Sand in die Schachtel und hob Dunst von ihrer Schulter; Dunst rollte sich in ihrer dunklen Behausung zusammen. Das kleine Tier quietschte und versuchte sich erneut freizukämpfen, als Schlanges verwaschener Schatten über es hinwegglitt. Sie beugte sich darüber und nahm es an sich. Die rasche Folge entsetzter Quietscher verlangsamte sich und verstummte schließlich, während sie es streichelte. Zuletzt lag es still, atmete schwer und starrte aus gelben Augen ermattet zu ihr auf. Es besaß lange, dünne Hinterbeine und breite, spitze Ohren, und die Nase zuckte infolge des Schlangengeruchs. Sein weicher schwarzer Pelz war vom Seilwerk des Netzes in schräge Vierecke unterteilt.
    »Ich bin traurig darüber, dir das Leben nehmen zu müssen«, sagte Schlange zu ihm. »Aber dann wird es nicht länger Furcht geben, und ich werde dir keinen Schmerz bereiten.« Sanft schloß sie ihre Hand um das Tier und packte, indem sie es noch streichelte, das Rückgrat unterhalb der Schädelbasis. Sie zog einmal mit schnellem Ruck. Es schien einen Moment lang zu zappeln, aber es war bereits tot. Es zuckte nur; die Beine winkelten sich an den Körper, die Zehen krümmten sich und bebten. Selbst danach schien es noch zu ihr emporzustarren. Sie befreite den Körper aus dem Netz.
    Aus ihrer Gürteltasche suchte Schlange ein kleines Fläschchen, zwang die verkrampften Kiefer des Tieres auseinander und träufelte einen Tropfen der im Fläschchen enthaltenen, trüben Zubereitung in das Maul. Eilig öffnete sie wieder die Schachtel und rief Dunst heraus. Sie kam langsam zum Vorschein, rutschte über den Rand, die Kapuze eingesunken, glitt hinab in den scharfkörnigen Sand. Im schwachen Licht glänzten ihre milchigen Schuppen. Sie roch das Tier, kroch hinzu, betastete es mit der Zunge. Für einen Moment befürchtete Schlange, sie würde totes Fleisch ablehnen, aber der Körper war noch warm, es regten sich darin noch Reflexe, und sie war sehr hungrig.
    »Ein Leckerbissen für Sie«, sagte Schlange, »um den Appetit anzuregen.«
    Dunst witterte, bäumte sich rückwärts und stieß zu, schlug ihre kurzen Fangzähne in den winzigen Körper, biß nochmals, entleerte ihren Giftvorrat. Sie ließ das Tier los, packte es auf günstigere Weise und begann es zwischen ihre Kiefer zu schlingen; es vermochte kaum ihren Rachen zu dehnen. Als Dunst reglos lag und die geringfügige Mahlzeit verdaute, setzte Schlange sich neben sie, hielt sie und wartete. Sie vernahm Schritte im harschen Sand.
    »Man schickt mich, damit ich dir helfe.«
    Er war ein junger Mann, trotz der weißen Strähne in seinem dunklen Haar. Er war größer als Schlange und sah nicht schlecht aus. Seine Augen waren dunkel, und die kantigen Züge seines Gesichts wirkten noch härter dadurch, daß sein Haar nach hinten gekämmt und im Nacken befestigt war. Seine Miene war gleichmütig.
    »Fürchtest du dich?«
    »Ich werde tun, was du von mir verlangst.«
    Obwohl das Gewand seine Gestalt verbarg, zeugten seine langen, feingliedrigen Hände von Kraft.
    »Dann halte ihren Leib fest und laß dich nicht von ihr überraschen.«
    Unter der Wirkung der Droge, die Schlange in den Körper des kleinen Tiers geträufelt hatte, begann Dunst zu zucken. Die Augen der Kobra stierten blicklos.
    »Wenn sie beißt...?«
    »Festhalten, schnell!«
    Der junge Mann griff zu, aber er hatte zu lange gezögert. Dunst wand sich, peitschte mit ihrem Leib den Boden, schlug ihm ihren Schwanz ins Gesicht. Er taumelte zurück, mindestens so überrascht wie schmerzhaft getroffen.
    Schlange hielt Dunst hinter den Kiefern in festem Griff und bemühte sich, auch den Rest ihres Körpers zu bändigen. Dunst war keine Würgerin, aber geschmeidig, kraftvoll und geschwind. Indem sie tobte, fauchte sie ihren Atem in ausgedehntem Zischen heraus. Sie hätte alles innerhalb ihrer Reichweite gebissen.
    Während Schlange mit ihr rang, gelang es ihr, auf die Giftdrüsen zu drücken und ihnen die letzten Tropfen von Gift auszupressen. Einen Augenblick lang hingen sie an den Fangzähnen und glitzerten im Licht wie Edelsteine; dann schleuderten die gewaltigen Zuckungen der Schlange sie in die
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