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Traumreisende

Traumreisende

Titel: Traumreisende
Autoren: Marlo Morgan
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Die Figur eines Fotomodells hatte sie nicht. Der Wachmann nahm Geoff die Handschellen ab, und er schlurfte mit gefesselten Füßen zu Stuhl Nummer vier.
    »Du bist nicht, was ich erwartet hatte«, sagte er, nachdem er den Telefonhörer abgenommen hatte.
    »Wieso, was hattest du denn erwartet?« fragte sie.
    »Weiß ich nicht. Schon gut. Ich dachte einfach, du würdest anders sein.«
    Bea lächelte und fragte: »Weißt du, warum ich hier bin?«
    »Klar«, antwortete Geoff. »Irgend jemand hatte den verrückten Traum, du könntest mich vielleicht aus diesem Höllenloch rausholen, bevor ich so alt werde, dass ich in meiner Zelle sterbe.«
    »Bei den Vereinten Nationen wird ernsthaft darüber verhandelt, dass ausländische Staatsbürger ihre Haft in ihren Heimatländern verbüßen sollen. Dabei werden Leute wie du, die von Ausländern adoptiert worden waren, ohne selbst ein Mitspracherecht zu haben, besonders berücksichtigt. Man nimmt an, ihr Leben hätte sehr viel anders verlaufen können, wenn sie von ihrem eigenen Volk großgezogen worden wären.
    Genaue Vorschriften für die Rehabilitation gibt es noch nicht, aber sie hat jedenfalls Vorrang vor der Strafe. Wir verlangen, dass du unseren Stammesführern übergeben wirst. Du wärest der erste, also können sie sich keinen Fehlschlag leisten. Du musst unbedingt wissen, dass es keine Haftentlassung bedeutet, wenn man dich von hier fortgehen lässt. Deine Situation war der Anlass, dass wir uns mit den sehr zersplitterten Beziehungen zwischen den Übriggebliebenen der verschiedenen Stämme beschäftigt haben. Auf eine sehr positive Weise hat deine Lage uns zur Einigkeit gezwungen.
    Wo früher Hunderte von Stämmen existierten, bemühen wir uns jetzt, als einheitliches Volk aufzutreten. Du würdest einer Gruppe von Männern übergeben werden, die wahrscheinlich aus acht bis zehn Personen besteht. Die Männer kümmern sich um Männerangelegenheiten, die Frauen um die ihrigen. Sie würden dich auffordern, ihnen deine Lebensgeschichte zu erzählen und auch alle Einzelheiten deines Verbrechens. Und sie würden alles über dein Leben hinter Gittern bis zum Tag deiner Auslieferung wissen wollen.
    Ich kann dir nicht sagen, was passieren würde. Früher wurden Männer isoliert, gemieden oder sogar mit einem Speerstich ins Bein bestraft, wenn sie eines Vergehens für schuldig befunden wurden. Jeder Stamm handelte als eigenständiger Staat. Heute hat sich das natürlich alles verändert. Wir hoffen, dass wir keine Polizei brauchen werden, wenn man uns das Recht gibt, über uns selbst zu bestimmen. Falls doch, würden wir für ein System eintreten, das fair ist und jeden Fall offen diskutiert. Bevor ich weitere Schritte unternehmen kann, Geoff, muss ich wissen, ob du bereit bist, dich gegen einen Amerikaner austauschen zu lassen, der in Australien inhaftiert ist.«
    »Bea, darauf kann ich dir im Augenblick keine Antwort geben«, sagte Geoff und sah sie über den Hörer des schwarzen Telefons hinwe g an. »Es wäre ein Traum, aus diesen Mauern herauszukommen, aber fairer weise kann ich nicht sagen, dass ich das tun würde, ohne eine gewisse Vorstellung davon zu haben, was auf der anderen Seite mit mir passiert. Hier habe ich keine Freiheit. Mir wird vorgeschrieben, was ich anziehen und was ich essen soll, wann ich zu duschen habe und wann ich mich körperlich bewegen darf, sogar, wann ich zu sprechen habe. Alles wird geregelt. Ich bin machtlos. Aber es ist so lange her, dass ich für mich selbst verantwortlich war, dass ich bei dem Gedanken daran, mit meinen begrenzten Fähigkeiten zu überleben, wirklich Angst bekomme. Und vielleicht haben diese Stammesführer irgendeine übertriebene Strafe im Sinn. Ich weiß nicht genug darüber, was es heißt, Aborigine zu sein. Ich habe versucht, ein paar Bücher zu lesen, aber die sagten mir eigentlich nicht viel. Kannst du mir dabei helfen? Wo soll ich anfangen?«
    Bea hörte dem Mann auf der anderen Seite der durchsichtigen Wand aufmerksam zu. Sie verstand, was er sagte, und hoffte, dass sie auch begriff, was er fühlte. »Ich will dir helfen, Geoff. Ich werde für dich die Philosophie des Stammes der >Wahren Menschen< aufschreiben, wie man sie mir erklärt hat. Ich denke, wenn du das liest, was ich geschrieben habe, wirst du merken, dass deinem Leben nicht alle Elemente gefehlt haben, die sie für wichtig halten.
    Unsere Beziehung zur Göttlichen Einheit lag immer in der Art und Weise, wie wir unser tägliches Leben führen. Wir sind mit der
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