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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger
Autoren: Marlo Morgan
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war, konnte ich echte Zusammenarbeit ohne Neid und Konkurrenzkämpfe miterleben.
    So etwas gab es in der mir bekannten Arbeitswelt nicht. Es war ein richtiges Vergnügen, ihnen zuzusehen.
    Ich redete mit den jungen Arbeitern über ihre Herkunft. Sie erzählten mir, daß die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stamm schon seit Jahren keine Bedeutung mehr habe. Ein paar von ihnen erinnerten sich an Großeltern, die von dem Leben erzählt hatten, als die Aborigines den Kontinent noch allein bevölkerten. Damals habe es unter anderen das Salzwasser-Volk und das Emu-Volk gegeben. Aber, um ganz ehrlich zu sein: Eigentlich wollten sie am liebsten gar nicht an ihre dunkle Haut und den Unterschied, für den diese stand, erinnert werden. Sie hofften, einmal jemanden mit hellerer Haut heiraten zu können, so daß ihre Kinder sich allmählich immer weniger von den Weißen abheben würden.
    Unsere Firma war in jeder Hinsicht ein ausgesprochener Erfolg, deshalb war ich nicht überrascht, als ich eines Tages angerufen und zu dem Treffen eines Aborigine-Stamms am anderen Ende des Kontinents eingeladen wurde. Der Anrufer deutete an, es sei nicht einfach irgendein Treffen, sondern mein Treffen. 
    »Bitte richten Sie es so ein, daß Sie teilnehmen können«, bat mich die Stimme des Ureinwohners.
    Ich kaufte mir ein paar neue Kleider, buchte einen Hin- und Rückflug und reservierte ein Hotelzimmer.
    Den Leuten, mit denen ich zusammenarbeitete, teilte ich mit, daß ich eine Weile verreisen würde, und erzählte ihnen von der ungewöhnlichen Aufforderung.
    Ich teilte meine Aufregung mit Geoff und meiner Hauswirtin, und ich schrieb einen Brief an meine Tochter. Es war eine Ehre, daß Leute, die so weit entfernt lebten, von unserem Projekt gehört hatten und mir ihre Anerkennung ausdrücken wollten.
    »Wir kümmern uns um die Fahrt vom Hotel zum Veranstaltungsort«, hatte man mir gesagt. Sie wollten mich um zwölf Uhr mittags abholen. Das schien doch zu bedeuten, daß es sich um ein Essen zu meinen Ehren handelte. Ich fragte mich, was sie wohl servieren würden.
    Nun, Ooota war pünktlich um zwölf dagewesen, aber die Frage, was die Aborigines zum Essen servierten, war nach wie vor unbeantwortet.

6 •   Das Bankett
    Die unglaubliche Tinktur aus Heilölen - hergestellt, indem man Blätter aufkocht und den öligen Bodensatz auffängt - wirkte: Meine Füße hatten sich bald so gut erholt, daß ich mir langsam wieder vorstellen konnte, zu stehen und zu laufen. Zu meiner Rechten sah ich eine Gruppe Frauen, die wie am Fließband zu arbeiten schienen. Sie sammelten große Blätter; während eine Frau mit einem langen Stock in den Büschen und abgestorbenen Bäumen stocherte, griff eine andere in die Büsche hinein, zog etwas heraus und legte es auf ein Blatt. Dann wurde ein zweites Blatt daraufgelegt und alles so gefaltet, daß man das ganze Päckchen einer Läuferin geben konnte, die es zum Feuer trug und unter die Kohlen steckte. Ich wurde neugierig.
    Dies war unsere erste gemeinsame Mahlzeit, das Menü, über das ich mir wochenlang den Kopf zerbrochen hatte. Ich humpelte hinüber, um besser sehen zu können, und traute meinen Augen nicht. In der Hand der Pflückerin wand sich ein großer weißer Wurm.
    Erneut entfuhr mir ein tiefer Seufzer. Ich hatte aufgegeben, die vielen Male zu zählen, die ich an diesem Tag schon sprachlos gewesen war. Eines aber war sicher: So hungrig konnte ich gar nicht sein, daß ich einen Wurm essen würde! Doch in diesem Moment  lernte ich eine Lektion: Man soll niemals »nie« sagen.
    Bis zum heutigen Tag ist das ein Wort, das ich ganz aus meinem Wortschatz zu verbannen versucht habe.
    Ich habe gelernt, daß es Dinge gibt, die ich lieber mag, und andere, die ich lieber meide, doch das Wort »nie« läßt keinen Platz für unbekannte Situationen, und »nie« ist eine sehr, sehr lange Zeit.
    Die Abende wurden durch die Stammesmitglieder zu einer außerordentlich vergnüglichen Angelegenheit. Sie erzählten Geschichten, sangen, tanzten, unterhielten sich mit Gesellschaftsspielen oder führten vertrauliche Gespräche unter vier Augen. Dies war wirklich eine Zeit der Gemeinsamkeit. Während wir darauf warteten, daß das Essen fertig wurde, gab es immer irgendeine Form von Aktivität. Oft massierten und rieben sie einander die Schultern, Rücken oder sogar die Kopfhaut. Ich sah, wie sie Nacken und Wirbelsäule bearbeiteten. Später auf unserer Reise zeigten wir uns gegenseitig verschiedene Techniken - ich brachte ihnen
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