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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger
Autoren: Marlo Morgan
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amerikanischen Brauch bei, uns weiterzuempfehlen.
    So verging die Zeit. Meine Tage waren mit Arbeit, dem Schreiben von Informationsbroschüren, Reisen, Unterricht und Vorlesungen gut ausgefüllt. Die Abende verbrachte ich meist in Gesellschaft der netten jungen Aborigines. Die ursprüngliche Gruppe blieb bestehen.
    Ihr Bankkonto wuchs ständig, und wir richteten für jeden von ihnen einen Treuhandfonds ein.
    Bei einem unserer Wochenendtreffen erzählte ich Geoff von unserem Projekt und meinem sehnlichen Wunsch, diesen jungen Menschen zu finanzieller Unabhängigkeit zu verhelfen. Wenn es schon keine Firmen gab, die sie einstellen wollten, so konnte sie doch niemand daran hindern, sich selbst eine zu kaufen, sobald sie genügend Vermögen angehäuft hatten.
    Wahrscheinlich hatte ich meinen Beitrag zu ihrem neuerwachten Selbstbewußtsein etwas zu sehr betont, denn Geoff antwortete: »Glückwunsch, Yank.« Aber als wir uns das nächste Mal trafen, gab er mir ein paar Geschichtsbücher. So verbrachte ich einen Samstagnachmittag lesend auf seiner Terrasse mit Blick auf den schönsten Hafen der Welt.
    In einem der Bücher wurde ein Rev. George King zitiert, der am 16. Dezember 1923 gegenüber der Australian Sunday Times gesagt hatte: »Die Aborigines Australiens gehören ohne Zweifel einer niederen Gattung der Spezies Mensch an. Sie verfügen über keine verläßliche Überlieferung ihrer Geschichte, ihrer Taten oder ihrer Herkunft; und würden sie heute vom Angesicht der Erde hinweggefegt, hinterließen sie kein einziges Kunstwerk, das Zeugnis von der Existenz ihres Volkes ablegen könnte. Allerdings scheinen sie aber schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte durch die weiten Ebenen Australiens gezogen zu sein.«
    Ich fand noch ein anderes, aktuelleres Zitat von einem John Burless, das die Einstellung des weißen Australiens dokumentierte: »Ich gebe euch etwas, aber ihr besitzt nichts, was ich von euch haben wollen würde.«
    Auszüge aus Ethnologen- und Anthropologenberichten vom vierzehnten Kongreß der australischen und neuseeländischen Vereinigung zur Förderung der Wissenschaften besagten:
    - Der Geruchssinn ist unterentwickelt.
    - Das Gedächtnis ist nur ansatzweise ausgebildet.
    - Kinder verfügen kaum über eigene Willenskraft.
    - Sie neigen zu Lügen und Feigheit.
    - Sie spüren Schmerzen nicht so stark wie die höher entwickelten Rassen.
    Als nächstes kamen die Geschichtsbücher, die die Initiationsriten der australischen Aborigine-Jungen beschrieben: Der Penis werde vom Skrotum bis zur Eichel mit einem stumpfen Steinmesser aufgeschlitzt - ohne Narkose und ohne einen Ausdruck des Schmerzes.
    Das Mannesalter werde erreicht, indem man sich von einem Heiligen Mann mit einem Stein einen Vorderzahn ausschlagen lasse. Die Vorhaut des betreffenden Jünglings werde seinen männlichen Verwandten zum Essen serviert, und dann werde er blutend und verängstigt in die Wüste geschickt, damit er seine Überlebenskünste beweisen könne. Die Geschichte meint ebenfalls zu wissen, daß sie Kannibalen waren und die Frauen manchmal sogar ihre eigenen Babys fraßen, wobei sie sich die zartesten Stücke besonders munden ließen.
    Ein Geschichtsbuch erzählt die Geschichte von zwei Brüdern: Der Jüngere stach in einem Streit um eine Frau auf seinen älteren Bruder ein. Nachdem der Al-tere sein brandig gewordenes Bein amputiert hatte, stach er dem Jüngeren die Augen aus. Danach lebten sie glücklich und zufrieden nebeneinander weiter. Der eine humpelte auf seiner Känguruhprothese durch die Gegend und führte den anderen an einer langen Stange hinter sich her. Diese Geschichte war grausam, aber am unverständlichsten war für mich eine Informationsbroschüre der Regierung über primitive chirurgische Methoden, in der bestätigt wird, daß die Aborigines glücklicherweise über eine Schmerzgrenze verfügen, die höher ist als die eines normalen Menschen.
    Die Freunde, die an meinem Projekt teilnahmen, waren keine Wilden. Wenn überhaupt, konnte man sie am ehesten mit den vom Leben benachteiligten Jugendlichen vergleichen, wie ich sie schon aus meiner Heimat kannte. Sie lebten in isolierten Gegenden; über die Hälfte der Familien war arbeitslos. Man hatte den Eindruck, daß sie sich auf ein Leben mit Levis-Jeans aus zweiter Hand und warmem Dosenbier eingestellt hatten. Und alle paar Jahre kam es vor, daß einer von ihnen ganz groß herauskam.
    Als ich am nächsten Montag wieder in unserer Fliegengitter-Firma
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