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Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Titel: Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
Autoren: Michaela Huber
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nicht –, wie viel Brutalität Männer anderen Männern sowie Frauen und Kindern antun können (etwa 90 Prozent aller Gewalttäter sind Männer), wie viel Wegsehen und Bagatellisieren und Nicht-wahrhaben-Wollen und Wegducken und Vermeiden – und wie viel heimliche oder „implodierende“ Zerstörungskraft in Frauen steckt. Und wie ausgeliefert Kinder sind.
    Ein paar Zahlen dazu allein aus dem Gebiet der sexuellen Gewalt, die meine Kollegin Veronika Engl freundlicherweise zusammengestellt hat:
    Laut Statistik des Bundeskriminalamtes wurden im Jahr 2000 in Deutschland 15.192 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Gewaltanwendung oder Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses erfasst. 53,3 % dieser Straftaten richteten sich gegen Kinder und Jugendliche (meistens Mädchen), 56,1 % gegen Frauen und 1,6 % gegen Männer. Zusätzlich wurden allein im Bereich der Kinderpornografie über 1400 Straftaten erfasst. Veronika Engl kommentiert diese Zahlen so: „Das Leiden der Opfer solcher Verbrechen ist unvorstellbar groß, nicht zu sprechen von den immensen Folgen und Kosten, die die Gesellschaft zu tragen hat.“
    Und in beiden Bereichen – sexuelle Gewalt allgemein wie auch Kinderpornografie, die man ja besser „Kinderfolterdokumentation“ nennen sollte –, sind die Dunkelziffern sehr hoch. Mindestens das Zehnfache dessen, was offiziell erfasst wird, wird inoffiziell begangen, aber die Opfer wagen es nicht, den Täter anzuzeigen. Das gilt im Übrigen auch für andere Formen von Misshandlungen.
    Stattdessen geschieht, was Judith Herman in ihrem Buch „Die Narben der Gewalt“ so formuliert hat: „Erst wenn die Wahrheit anerkannt ist, kann die Genesung des Opfers beginnen. Doch sehr viel häufiger wird das Schweigen aufrechterhalten, und die Geschichte des traumatischen Ereignisses taucht nicht als Erzählung auf, sondern als Symptom.“
    Da nur etwa jeder tausendste Täter jemals verurteilt wird, kann man sagen: in unserer Gesellschaft bleiben Misshandlungen juristisch verboten, aber faktisch straffrei. Der amerikanische Psychoanalytiker und Traumaexperte Harvey Schwartz schreibt dazu in seinem Buch „Dialogues with forgotten Voices“: „Wenn es in einer Gesellschaft möglich ist, dass massive Misshandlungen von Kindern praktisch ungehindert stattfinden können, dann werden in dieser Gesellschaft durchgängig solche kulturellen Kerndynamiken gefördert wie Ausbeutung, Entmenschlichung-Objektifizierung, Opferung, tödlicher Wettbewerb, Frauenfeindlichkeit und Erotisierung der Unterwerfung von Frauen sowie positive Bewertung von Dominanz und Kollusion [ungute Symbiose] als Formen menschlicher Beziehungen.“ (Schwartz, 2000; Übersetzung MH)
    Noch weiter gehen die Göttinger PsychotraumatologInnen Annette Streeck-Fischer, Ulrich Sachsse und Ibrahim Özkan in der Einleitung ihres lesenswerten Sammelbandes: „Gesellschaften, die Krieg führen und fortführen, folgen möglicherweise traumatisch bedingten Wiederholungszwängen. Unverarbeitete Kriegstraumata fließen vielleicht in korrupte Wert- und Normenvorstellungen einer Gesellschaft ein.“ (Streeck-Fischer et al, 2001)
    Die nach dem nationalen Trauma der Terroranschläge vom 11. September 2001 von den USA betriebene „Haudrauf“-Politik inklusive der Spaltung, die sie damit bei den alliierten Europäern auslösten, und die Folgen – u.a. eine Radikalisierung der Politik solcher Länder, die als „Achse des Bösen“ ausgegrenzt wurden – mögen dafür international ein gutes Beispiel sein. In Deutschland waren es sicher im letzten Jahrhundert besonders die Nazi-Gräuel und die beiden Weltkriege, deren Traumata sich individuell auswirkten, aber kaum politisch und noch weniger persönlich aufgearbeitet wurden (Heinl, 1994; Rosenthal, 1997 und 2001; Schmidbauer, 1998).
    Folgen von traumatisierenden Erlebnissen
    Der Schwerpunkt dieses Buches und des Nachfolgebandes über Traumabehandlung werden also nicht Naturkatastrophen und Unglücke sein – auch wenn es zu den entsprechenden Forschungen Querverweise gibt. Sondern die zwischenmenschliche Gewalt soll uns hier beschäftigen, besonders die langjährige Gewalt, die in der Regel in den Familien ihren Ausgang nimmt und zu dem führen kann, was wir „komplexe Traumatisierung“ nennen. Mit den oben angedeuteten gesellschaftlichen Auswirkungen, die eine sich stets weiter drehende Spirale der Gewalt auslösen können, wenn diese nicht durchbrochen wird. Neben polischen Interventionen sind auf
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