Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Titel: Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
Autoren: Michaela Huber
Vom Netzwerk:
sind?
    Diagnostik von PTSD
    Besonderes Augenmerk habe ich in diesem Band auf die Diagnostik der Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung gelegt. Denn neben der klassischen PTSD, die drei Hauptmerkmale hat – quälendes Wiedererleben von traumatischen Sequenzen, Übererregungs- und Vermeidungssymptome –, leiden chronisch traumatisierte Menschen oft unter einer komplexen Form von posttraumatischer Störung, die amerikanische Kollegen als „DESNOS“ – „D isorder of E xtreme S tress N ot O therwise S pecified“ – bezeichnet haben und die wahrscheinlich im neuen internationalen Diagnosehandbuch DSM-V eine eigene Diagnose-Kategorie bekommen wird: als Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung. Sie hat viel mehr bedeutsame Symptombereiche als die „einfache PTSD“, nämlich Probleme mit der Regulation von Gefühlen, Selbstbeschädigung/Selbstverletzung, chronische Empfindungen von Sinn- und Hoffnungslosigkeit bis hin zu immer wiederkehrenden Suizidgedanken oder -impulsen. So mancher „Lebensmüde“ ist ein Mensch, der viel Gewalt durchlitten hat und daran so leidet, dass das Gefühl, eine lebenswerte Zukunft zu haben, verschwunden ist. Und so manche Depressive ist eine Person, der man im übertragenen Sinne, aber vielleicht auch fast wörtlich zu nehmen, „das Rückgrat gebrochen hat“.
    Motor meiner Arbeit ist nach wie vor zu einem Gutteil der Zorn darüber, wie viel Gewalt es in unserer Gesellschaft gibt, wie wenig sie gesehen und wie wenig die Opfer und Überlebenden respektiert und in ihrer Aufarbeitung gefördert werden.
    Beratungsstellen für Kinder und Frauen, die Opfer von (z. B. sexueller) Gewalt geworden sind, werden ständig finanziell bedroht, das Personal auf Traumastationen in Kliniken chronisch arbeitsmäßig überlastet und die Gewaltüberlebenden nicht selten als „psychisch krank“ abgestempelt und stigmatisiert. Dies, so finde ich, dürfen Bürgerinnen in einer lebendigen Demokratie so nicht hinnehmen. Wir brauchen den Respekt für die Opfer, Unterstützung für die Überlebenden, Finanzierung der Arbeit für die Profis, die sich der Opfer und so früh wie möglich auch der Täter annehmen.
    Als Psychotherapeutin wie als Supervisorin und Ausbilderin in Traumabehandlung habe ich viele Menschen kennengelernt, die am Rande der Verzweiflung waren: Gewaltüberlebende, die oft jahrelang nach traumatherapeutisch ausgebildeten und von der Krankenkasse zugelassenen Psychotherapeutinnen suchten, weil sie den Willen hatten, von ihrer PTSD zu genesen. Täter, die „es“ nie mehr tun wollten und denen keine effektive Unterstützung gegeben wurde, sich ihrer Verantwortung als Täter und ihrer gewalttätigen Herkunft so zu stellen, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit tatsächlich sinkt. Und ich habe Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, die bis zum Umfallen arbeiten, weil sie die Not der Menschen nicht loslässt und sie Schwierigkeiten haben, jemanden wegzuschicken. Kolleginnen, die teilweise bereits unter sekundärer Traumatisierung litten: unter chronischer Erschöpfung, Mitgefühls-Müdigkeit (compassion fatigue) oder Burn-out. Doch ich habe auch viele Menschen kennengelernt, die jeden Tag aufs Neue sich selbst und anderen vermitteln können: Es ist der Mühe wert, sich der Traumatisierung zu stellen. Es lohnt sich, ein besseres Leben zu wollen. Es lohnt sich, als Psychotherapeutin gut ausgebildet zu sein in Psychotraumatologie, weil man dann wirksam helfen kann, wo man früher nur „aushalten“ und „dabei bleiben“ konnte – was auch schon viel ist und keineswegs alle Therapeutinnen fertigbringen.
    Es gibt heute effektive Behandlungsmöglichkeiten für posttraumatische Störungen, basierend auf den Erkenntnissen darüber, wie sich Traumatisierung im Gehirn „niederschlägt“, welche Auswirkungen sie auf Gefühle, Gedanken, Einstellungen und Verhaltensweisen hat. Dabei hat sich ein „schulenübergreifendes“ Vorgehen als das sinnvollste erwiesen. Wir brauchen heute Techniken zur Regulation von heftigen Gefühlen, die von verhaltenstherapeutischen Kolleginnen entwickelt wurden, ebenso wie wir ein tiefes Verständnis für traumatische (Objekt-)Beziehungsstrukturen und heilsame Bindungserfahrungen benötigen. Wir sollten uns in den Möglichkeiten der kognitiven Steuerung brisanter Lebenserinnerungen ebenso auskennen wie auf der Ebene der Körperreaktionen und der Förderung gesunder Motorik. Wir müssen als Psychotherapeutinnen wissen, wie wir Betroffenen helfen können, sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher