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Traum ohne Wiederkehr

Traum ohne Wiederkehr

Titel: Traum ohne Wiederkehr
Autoren: André Norton
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sich, allerdings nur mit Wohnhäusern für die Edlen, die einen großen Teil des Jahres am Hof verbringen mußten, mit all ihrem Gesinde, und die vielen Beamten des Königreichs.
    Das Herz dieser kleinen Stadt war das Bauwerk, das ihr seinen Namen verlieh: eine Ansammlung von Türmen, die sich hoch über die niedrigeren Gebäude zu seinen Füßen erhoben. Das Fundament der Mauern war grau, doch diese Farbe wandelte sich unauffällig bis zum leuchtenden Blau am oberen Mauerrand. Die anderen Häuser waren völlig grau, nur ihre Dächer wiesen ein dunkles Blau auf.
    Der Sesselwagen rollte durch einen dicken Torbogen der Außenmauer, dann eine Straße zwischen den Häusern hoch, durch ein zweites Tor und zu einem freien Platz vor den mittleren Turmbauten. An vielen Menschen waren sie vorbeigekommen, seit sie die Schloßstadt betreten hatten, ein großer Teil davon Wachsoldaten, aber auch einige Bewaffnete in Uniformen von anderer Farbe und mit anderen Wappen. Tamisan nahm an, daß sie zum Gefolge der verschiedenen Lords am Hof gehörten.
    Der Offizier, der sie abgeholt hatte, half ihr aus dem Wagen, dann bot er ihr seinen Arm und führte sie in das Schloß. Es war von so ungeheurer Größe und Pracht, daß sie sich schrecklich klein vorkam, und je länger sie durch die schier endlosen Korridore schritten und breite Treppenaufgänge hochstiegen, desto unbehaglicher fühlte sie sich. Schließlich kamen sie in einen riesigen Saal, der nicht nur durch unzählige Kerzen beleuchtet wurde, sondern auch durch das Tageslicht, das durch hohe Fenster fiel.
    Die Tamisan, der diese Welt hier vertraut war, wußte, daß dieser Raum der Saal der Edlen genannt wurde. In Türnähe befanden sich die Edlen dritten Ranges, dann mehr der Mitte zu die zweiten Ranges, und schließlich am fernen Ende des blauen Läufers, über den der Offizier sie führte, die ersten Ranges. Letztere saßen in Sesseln mit Baldachinen, in zwei hintereinanderliegenden Halbkreisen, und vor ihnen befand sich der Thron auf einer Plattform, zu der drei Stufen hochführten. Auf den Stufen standen mehrere Leibgardisten und Männer in farbigen Gewändern mit schulterlangem, losem Haar.
    Als Tamisan klar wurde, daß sie tatsächlich direkt zur Oberkönigin geführt wurde, prickelte ihr der Rücken. Etwas für sie ungeheuer Wichtiges stand ihr bevor. Beim Fuß der Plattform angekommen, machte der Offizier einen Kniefall, während Tamisan die Finger hob, um sie kurz zum Gruß an den Kronenrand zu legen. Wieder hatte die Erinnerung der anderen Tamisan für sie übernommen.
    Die Oberkönigin blickte sie durchdringend an, als Tamisan zu ihr hochschaute. Tamisan sah eine Frau, deren Altern sie nicht schätzen konnte. Sie mochte alt sein oder jung, jedenfalls hatten die Jahre sie offenbar nicht gezeichnet. Ihre volle Figur war in ein einfaches Gewand von rosiger Perlenfarbe gehüllt und völlig schmucklos, wenn man von dem Gürtel aus geflochtenem Silber absah. Dazu trug sie eine Halskette aus dem gleichen Metall, mit tropfenförmigen Anhängern aus milchigen Steinen. Auf ihrem flammendroten Haar saß ein Diadem mit den gleichen Steinen. Tamisan konnte nicht sagen, ob sie schön war, aber zweifellos strotzte sie vor Leben. Obgleich sie völlig ruhig saß, strahlte sie eine große Energie aus. Tamisan schien sie die lebensbejahendste Persönlichkeit zu sein, die ihr je begegnet war, und sofort war sie auf der Hut. Einer solchen Frau zu dienen, dachte sie, mußte einem jede eigene Persönlichkeit rauben und einen zu einem bloßen Spiegelbild von ihr machen.
    »Willkommen, o Mund Olavas, die Ihr ungewöhnliche Dinge gelesen habt!« Die Stimme der Oberkönigin klang spöttisch und ein wenig herausfordernd.
    »Ein Mund sagt nur, was ihm zu sagen gegeben ist.« Diese Antwort hatte sich über Tamisans Lippen gedrängt, ohne daß sie sie vorher überlegt hatte.
    »So hörten wir, doch auch Götter können alt und müde werden. Oder ist das nur das Schicksal der Menschen? Unser Wille ist jedenfalls, daß Olava erneut spricht!«
    Bei diesen Worten setzten die Männer auf den Thronstufen sich in Bewegung. Zwei der Gardisten brachten einen Tisch heran, ein dritter einen Hocker, der vierte ein Tablett mit vier Schalen Sand. Sie stellten alles vor dem Thron auf.
    Tamisan nahm ihren Platz auf dem Hocker ein, und wieder drückte sie ihre Fingerspitzen an die Schläfen. Würde es auch diesmal von selbst funktionieren, oder mußte sie versuchen, durch einen Trick ein Bild auf den Tisch zu
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