Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
bis auf eine reliktartige Spur der Getrenntheit in ihren Seelen. Es war noch intimer als Sex.
    Aber es dauerte nur eine Sekunde. Nach Luft schnappend, skimmten sie auseinander und schwebten Seite an Seite. Und nun, wo dieser Moment ozeanischer Nähe vergangen war, kehrte Alias nagende Sorge zurück.
    Komm, wir müssen heim, sagte Drea.
    Die Schwestern trudelten zu den hellen, komplizierten Lichtern der Nord hinab.

 
3
     
     
    Beim Anflug auf Miami – ich hatte der Aufforderung meines Bruders Folge geleistet – sah ich aus der Luft praktisch nur Wasser. Es war überall, das vordringende Meer an der Küste und glänzende Bänder im Landesinneren, die die Landschaft zerschnitten. Ein großer Teil der Innenstadt war natürlich geschützt, aber schon die nur ein paar Blocks entfernt liegenden Außenbezirke waren überschwemmt. Ich war ziemlich schockiert.
    Doch die Stadt lebte noch. Eindrucksvolle Dämme verbanden die Inseln miteinander, und ich sah Kapselbusse in Ketten wie glänzende Perlen in dem neuen Archipel herumkurven, ganz ähnlich, wie man in meiner Kindheit die Keys von Largo bis West abfahren konnte.
    Als pflichtbewusster, wenn auch widerstrebender Sohn kehrte ich also nach Florida zurück. Wie ich zu meiner Schande gestehen muss, war ich seit über zehn Jahren nicht mehr hier gewesen. Das ist heutzutage eine lange Zeit. Die Welt verändert sich rasch, und in einem solchen Zeitraum türmen sich die Veränderungen auf wie ein Wasserberg hinter einer Sandbank und brechen schließlich über einen herein.
    Vom Flughafen nahm ich einen Kapselbus zur Calle Ocho, der achten Straße, und dann eine Fähre – ein schnelles, wendiges Luftboot, nicht viel mehr als eine von einem riesigen Ventilator angetriebene Kunststoffplatte. Meine Pilotin war vielleicht zwanzig Jahre alt und sprach kein Wort Englisch. Sie ließ das kleine Boot wie ein Skateboard über die Wellen gleiten; es war eine lustige Fahrt.
    Auf dem Weg nach Little Havana hinein schlängelten wir uns durch Schwärme von Booten und Yachten. Leute fuhren mit Jet-Skis, alten Everglades-Sumpf-Buggies und sogar ramponierten Touristen-Tretbooten herum, die meist mit irgendwelchem Zeug beladen waren. Entlang der Calle Ocho hatten sich die Boote und Dschunken zu riesigen, bunten, schwimmenden Märkten zusammengerottet: Es gab Cafés und tabaqueros, in schwimmenden Läden konnte man billige Klamotten und sogar Brautkleider erstehen. Überall tanzten Schwärme von Fliegen und anderen Insekten, riesige Wolken, viel mehr als in meinen Kindheitserinnerungen. Aber im Maximo-Gomez-Park spielten alte Männer noch immer Domino, und auf dem von dicken Sandsackwällen geschützten Memorial Boulevard brannte nach wie vor die ewige Flamme zu Ehren der Schweinebucht-Konterrevolutionäre. All dies spielte sich zu Füßen der alten Häuser ab, von denen viele noch bewohnt waren, zumindest die oberen Etagen. Die alternden, mit Nano-Farbe beschichteten Gebäude glänzten silbern, als wären sie in Folie gewickelt. Unterhalb der Flutmarken konnte man sehen, wie das Wasser am Stein und am Beton nagte. Entenmuscheln an Wolkenkratzern, du großer Gott. Hier und dort gab es frei geräumte Schneisen, breite Trümmerstreifen, auf denen Kinder und Beutesucher herumwuselten. Wahrscheinlich Hurrikanbahnen, Lücken in der Stadtlandschaft, die nie mehr geschlossen werden würden. Eine Küste ist ein Ort der Erosion, hatte Onkel George immer zu mir gesagt, ein Ort, wo zwei feindliche Elemente, das Land und das Meer, unablässig Krieg gegeneinander führen, und am Ende trägt das Meer stets den Sieg davon. Eines Tages würden all diese imposanten alten Gebäude einfach im Ozean versinken, und ihr gesamter Inhalt würde sich in das geduldige Wasser ergießen und sich dort zu riesigen Müllhaufen sammeln.
    Aber vorerst ging das Leben weiter. Meine Pilotin winkte Konkurrenten oder Freunden und rief ihnen Obszönitäten zu, wie es schien. Jeder wollte irgendwohin, so wie immer. Trotz des schmutzigen Wassers war es nach wie vor das Little Havana, an das ich mich erinnerte, ein Ort, den ich stets aufregend gefunden hatte.
    Als wir die Küste erreichten, ließ ich mich von dem Boot an einem kleinen Fähranleger ein paar Kilometer vom Haus meiner Mutter absetzen. Ich hatte beschlossen, den Rest des Weges zu Fuß zu gehen, den Rucksack auf dem Rücken.
    Es war mitten am Nachmittag. Die recht gut erhaltene Straße verlief in nordwestlicher Richtung und folgte der Küstenlinie; die Straßendecke war erst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher