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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz
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in ihren Knochen und ihrem Blut. Und nur sehr wenig, was Alia wollte, wurde ihr verweigert.
    Die meisten Kinder skimmten, sobald sie herausfanden, dass sie es konnten. Erwachsenen fiel es schwerer, oder sie gaben es auf, wie sie das Laufen und Klettern aufgaben. Aber nur wenige gleich welcher Altersstufe skimmten so geschickt wie Alia und Drea. Überall, wo die Schwestern erschienen und erschrockene Vögel aufscheuchten, bedachten die Jüngeren sie mit neidischen Blicken, und die Älteren lächelten nachsichtig und versuchten ihr Bedauern zu verbergen, dass sie nie wieder so anmutig würden tanzen können.
    Und jedes Mal hingen unmittelbar nach dem Verschwinden der Mädchen zwei silbrige Staubwolken, die noch immer die Umrisse der beiden Schwestern zeigten, bleich und durchsichtig in der Luft. Doch in den künstlichen Brisen des Schiffes lösten sich diese Chimären von unbewohnter Materie rasch auf.
     
    In einem letzten, großen Skim sprangen die Mädchen ganz aus der Nord heraus.
    Alia spürte die Spannung des Vakuums in ihrer Brust; die harte Strahlung brannte so herrlich in ihrem Gesicht wie eine Eiswasserdusche auf bloßer Haut. Da ihre Lungen fest verschlossen waren und der Dunst aus Biomolekülen und Nanomaschinen, der ihren Körper erfüllte, eifrig nach Schäden suchte, bestand keine Gefahr für sie.
    Überall um die Schwestern herum waren Sterne, über ihnen, unter ihnen, zu allen Seiten; sie hingen im dreidimensionalen Raum. In einer Richtung bahnte sich ein grelleres, kräftigeres Licht seinen Weg durch den dicken Sternenschleier. Das war der Kern, das Zentrum der Galaxis. Die Nord war rund fünfzehntausend Lichtjahre vom Zentrum entfernt, ungefähr halb so weit wie Sol, die Sonne der Erde.
    Nur ausgefranste Staub- und Gaswolken lagen vor dieser aufgeblähten Lichtmasse, und wenn man genau hinsah, konnte man Schatten von tausend Lichtjahren Länge erkennen.
    Alia schaute auf die Nord hinunter, ihre Heimat.
    Das Schiff unter ihr war eine komplexe Skulptur aus Eis, Metall und Keramik, die sich langsam im fahlen Licht der Galaxis drehte. Man konnte die ursprüngliche Form des Raumfahrzeugs noch andeutungsweise erkennen, einen dicken Torus mit einem Durchmesser von ungefähr einem Kilometer. Aber diese Grundstruktur war überbaut, ausgehöhlt und erweitert worden, bis ihre Konturen unter einem Wald aus Parabolantennen, Manipulatorarmen und Sensorkapseln verschwunden waren. Eine Wolke grün und blau leuchtender, halbautonomer Behausungen schwamm träge ums Schiff: Es waren die Heimstätten der Reichen und Mächtigen, die der Nord wie ein Fischschwarm folgten.
    Mit ineinander verschränkten Händen drehten sich die Schwestern langsam umeinander; ihr Restschwung drückte sich in einer langsamen Kreisbahn aus. Komplexes Sternenlicht spielte über Dreas lächelndes Gesicht, aber ihre Augen waren hinter den multiplen Membranen verborgen, die schützend über die feuchten Oberflächen glitten. Alia genoss den Augenblick. In jüngeren Jahren waren die Schwestern füreinander die wichtigsten Menschen an Bord der Nord gewesen. Doch nun wurde Alia allmählich erwachsen. Dies war ein Wendepunkt in ihrem Leben, eine Zeit der Veränderung – und der Gedanke, dass es vielleicht nicht mehr allzu viele solche Momente geben könnte, machte ihn umso schöner.
    Doch Alia wurde von einer leisen Stimme abgelenkt, einem Flüstern in ihrem Ohr.
    Ihre Mutter rief sie. Komm nach Hause. Du hast Besuch…
    Besuch? Alia runzelte die Stirn. Wer von den Leuten, die sie besuchen würden, konnte so wichtig sein, dass ihre Mutter sie rief? Niemand von ihren Freundinnen und Freunden; die konnten alle warten. Aber ihre Mutter hatte irgendwie ernst geklungen. Etwas hatte sich während ihres Tanzes durch die Nord verändert, dachte Alia. Drea hielt ihre Hände fest; ihre Miene war komplex, besorgt. Sie wusste etwas, erkannte Alia und verspürte eine Aufwallung von Liebe zu ihrer Schwester, der Gefährtin ihrer Kindheit. Doch auf einmal gab es eine kaum wahrnehmbare Barriere zwischen ihnen.
    Sie trieben aufeinander zu und skimmten ein letztes Mal. Wie ein Beckenschlag gingen ihre Körper ineinander über, die Atome und Elektronen, Felder und Quantenunschärfen verschmolzen. Natürlich wurde diese Verschmelzung missbilligt; sie war ein gefährliches Kunststück. Aber für Alia war es herrlich, vom innersten Wesen ihrer Schwester umfangen zu sein, sie unter dem Herzen zu tragen; alles an ihnen war zu einer einzigen wolkigen Masse vereint, alles
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