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Transfer

Transfer

Titel: Transfer
Autoren: Stanislaw Lem
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Papier schwebend. Einen Augenblick lang sah ich mein eigenes Gesicht an - was war es wohl, ein dreidimensionales Foto? Ich steckte den Bogen in die Tasche und ging. Die goldene Hölle schien auf die Köpfe der Menschen herabzufallen, eine Decke aus Feuermagma, unwirklich, aber wie ein wirkliches
    Feuer wütend. Niemand sah hin. Die Leute liefen emsig von einer Kabine zur anderen, grüne Buchstaben hüpften im Hintergrund, Zahlenkolonnen flossen auf schmalen Scheiben hinunter, noch andere Kabinen, Rollos statt Türen, die blitzartig beim Herannahen hochschnellten - endlich fand ich den Ausgang.
    Ein Korridor mit abschüssigem Boden wie manchmal im Theater. Aus den Wänden schossen stilisierte Muscheln, oben liefen endlos die Worte: INFOR INFOR INFOR.
    Einen Infor sah ich zum ersten Male auf der Luna und meinte, daß es eine künstliche Blume wäre.
    Ich brachte mein Gesicht dicht an den hellgrünen Kelch, der sofort, noch ehe ich die Lippen öffnete, in Erwartung erstarrte.
    »Wo kann ich hier raus?« fragte ich nicht sehr geistreich. »Wohin?« erwiderte sofort eine warme Altstimme.
    »In die Stadt.«
    »In welches Viertel?«
    » Egal. «
    »Auf welche Ebene?«
    »Egal. Ich will aus dem Bahnhof heraus!«
    »Meridional, Raster: einhundertsechs, einhundertsiebzehn, null acht, null zwei. Tridukt, Ebene AF, AG, AC, MythenebeneRundweg, zwölf und sechzehn, Nadir-Ebene führt in jede südliche Richtung. Zentral-Ebene, G!ider, lokal - rot, fern - weiß, A,
    B und W. Ulder-Ebene, unmittelbar, sämtliche Eskale vom dritten an nach oben…«, rezitierte singend eine Frauenstimme.
    Ich hatte Lust, das Mikrofon aus der Wand zu reißen, das sich da so besorgt meinem Gesicht zuwandte. Ich ging. »Idiot! Du Idiot!« wiederholte ich mir bei jedem Schritt. EX, EX, EX, wiederholte eine oben vorbeigleitende, mit zitronengelbem Nebel eingefaßte Inschrift. Ist es vielleicht Exit? Der Ausgang?
    Eine Riesenaufschrift: EXOTAL. Ich gelangte plötzlich in einen starken Luftstrom voller Wärme, so daß meine Hosenbeine flatterten. Ich befand mich unter freiem Himmel. Aber die Nachtdunkelheit, durch die Menge der Lichter entrückt, hing weit entfernt im Raum. Ein Riesenrestaurant - Tischchen, deren Oberflächen in verschiedensten Farben leuchteten, daher etwas unheimlich von unten beleuchtete Gesichter darüber, voll tiefer Schatten. Niedrige Sessel, Gläser mit einer schwarzen, grünschäumenden Flüssigkeit, Lampions, die kleine Funken sprühten, nein, eher Glühwürmchen, Mengen von brennenden Nachtfaltern. Ein Lichterchaos löschte die Sterne. Als ich den Kopf hob, sah ich nur eine schwarze Leere. Trotzdem erstaunlich genug: ihre blinde Existenz gab mir irgendwie Mut. Ich stand und schaute.
    Jemand berührte mich im Vorüberstreifen, ich spürte Parfümduft, scharf und leicht zugleich, ein Paar ging vorbei, das Mädchen wandte sich dem Mann zu, ihre Schultern und Brüste verschwanden in einer flaumigen Wolke, er nahm sie in seine Arme, sie tanzten. >Tanzen tun sie noch<, dachte ich. >Auch gut.< Das Paar tat ein paar Schritte, ein blasses Quecksilberparkett hob es mit anderen Paaren hoch, ihre dunkelroten Schatten bewegten sich unter seiner riesigen und sich langsam drehenden Platte; das Parkett war nicht gestützt, hatte nicht einmal eine Achse. Es drehte sich, in der Luft hängend, zu den Klängen der Musik.
    Ich ging zwischen den Tischchen durch. Die weiche Plastikmasse, auf der ich ging, hörte nun auf, sie grenzte an einen rauhen Felsen. Durch einen Lichtvorhang ging ich weiter und fand mich in einer Felshöhle. Es sah aus wie zehn oder fünfzig gotische Kirchenschiffe aus Stalaktiten zusammen. Adernförmige Infiltrationen perlenartiger Minerale umschlossen die Höhlenausgänge, Menschen saßen da, ihre Beine hingen in die Leere, zwischen ihren Knien brannten flackernde Flämmchen, unten aber weitete sich ungetrübt der schwarze Spiegel eines unterirdischen Sees aus, in dem sich die Felsen widerspiegelten. Dort, auf nachlässig zusammengebastelten kleinen Flößen, ruhten ebenfalls Menschen, die alle nach einer Seite schauten.
    Ich ging bis an den Rand des Wassers und sah auf der anderen Seite, auf dem Sand, eine Tänzerin. Sie schien mir nackt zu sein, aber das Weiß ihres Körpers war unnatürlich. Mit kleinen, schwankenden Schritten lief sie auf das Wasser zu, und als sie sich darin widerspiegelte, öffnete sie plötzlich die Arme und neigte den Kopf - es war der Schluß, doch niemand applaudierte. Die Tänzerin verharrte einige
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