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Transfer

Transfer

Titel: Transfer
Autoren: Stanislaw Lem
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Sekunden regungslos, ging dann langsam am Ufer entlang, an dessen ungeraden Linien herum. Sie war wohl dreißig Schritte von mir entfernt, als etwas mit ihr geschah. Eben noch sah ich ihr lächelndes, erschöpftes Gesicht, und plötzlich wurde es irgendwie verdunkelt, ihre Silhouette erzitterte und verschwand.
    »Eine Plave für den Herrn?« hörte ich hinter mir eine höfliche Stimme. Ich drehte mich um, niemand, nur ein ovales Tischchen,
    das sich auf komisch gebogenen Beinchen bewegte: es ging, die Gläser mit einer schäumenden Flüssigkeit, die reihenweise seitlich auf Tabletts standen, erzitterten dabei - ein Arm reichte mir höflich das Getränk, der andere griff schon nach dem Teller mit einer Offnung für den Finger - der Teller sah einer kleinen, konkaven Palette ähnlich. Es war ein Automat, ich sah hinter dem Hauptglas die aufleuchtende Glut seines Transistorherzens.
    Ich ging vorbei an den untertänig herausgestreckten Käferarmen, mit Leckerbissen belastet, die ich verschmähte. Ich verließ die künstliche Grotte, die Zähne zusammenbeißend, als ob mir eine unverständliche Demütigung angetan worden wäre. Ich ging über die ganze Terrassenbreite, zwischen den S-förmigen Tischchen durch, unter den Lampion-Alleen, überschüttet vom leichten Staub der zerfallenden, schon sterbenden, schwarzen, goldenen Glühwürmchen.
    Dicht am Ufer, das mit altem, vom gelblichen Pflanzenbelag wie umnebeltem Stein eingefaßt war, fühlte ich endlich den wirklichen, reinen und kühlen Windhauch. Daneben stand ein freies Tischchen. Ich setzte mich, unbequem, den Rücken den anderen Menschen zugekehrt. Ich sah in die Nacht. Unten erweiterte sich das Dunkel, gestaltlos und unerwartet. Erst in der Ferne, weit in der Ferne, glühten an seinen Rändern dünne, schwankende, unsichere Lichter auf, als ob es gar kein elektrisches Licht wäre. Und noch weiter schossen in den Himmel kalte, dünne Lichtdegen, ich wußte nicht, waren es Häuser oder irgendwelche Masten. Ich hätte sie für Scheinwerfergarben gehalten, wären sie nicht mit einem feinen Netz bedeckt gewesen - so könnte wohl ein mit seinem Oberteil in den Boden gerammter Glaszylinder aussehen, voller abwechselnd konkaver und konvexer Linsen. Unwahrscheinlich hoch mußten sie sein, um sie herum rieselten pulsie -rende Lichter, von einem Kranz orangenfarbenen, dann wieder fast weißen Schimmers eingefaßt. Das war alles, so sah die Stadt aus; ich versuchte Straßen zu finden, sie zu erraten, aber die dunkle tote Fläche da unten zog sich nach allen Seiten hin, von keinem Funken erhellt.
    »Kol?…« hörte ich, wohl nicht zum ersten Mal ausgesprochen, obwohl ich es am Anfang nicht auf mich bezog. Ehe ich mich noch richtig umgedreht hatte, tat es der Sessel für mich. Vor mir stand ein vielleicht zwanzigjähriges Mädchen in dicht anliegendem Hellblau. Schultern und Busen waren in dunkelblauen Daunen
    verloren, die nach unten zu immer durchsichtiger wurden. Ihr schöner, schlanker Bauch war wie eine Skulptur in atmendem Metall. In den Ohren hatte sie etwas Leuchtendes, das so groß war, daß man die Ohrmuscheln nicht sehen konnte. Ihre kleinen, unsicher lächelnden Lippen waren geschminkt, die Nasenlöcher innen auch rot - ich hatte bemerkt, daß die Mehrheit der Frauen sich so zurechtmachte.
    Sie faßte mit beiden Händen die Lehne des mir gegenüberstehenden Sessels und fragte: »Was gibt’s bei dir, Kol?« Sie setzte sich. Ich hatte den Eindruck, daß sie etwas betrunken war.
    »Langweilig hier«, meinte sie wieder nach einer Weile. »Nicht? Nehmen wir uns mal, Kol?«
    »Ich bin nicht Kol…«, antwortete ich.
    Sie stützte die Ellbogen auf das Tischchen und bewegte die Hand mit einem halbgefüllten Glas. Das Ende eines Goldkettchens, das sie um die Finger trug, tauchte dabei in die Flüssigkeit. Sie bog sich immer mehr vor. Ich spürte ihren Atem. Wenn sie betrunken war, so nicht vom Alkohol.
    »Wieso?« sagte sie. »Du bist es. Mußt es ein. Jeder ist ein Kol. Willst du wohl? Nehmen wir uns?«
    Wenn ich bloß wüßte, was das bedeuten sollte.
    »Gut«, sagte ich.
    Sie stand auf. Auch ich stand von dem schrecklich niedrigen Sessel auf.
    »Wie machst du das?« fragte sie.
    »Was?«
    Sie sah auf meine Füße.
    »Ich dachte, du würdest auf den Zehenspitzen stehen…«
    Ich lächelte schweigend. Sie kam auf mich zu, nahm meinen Arm und staunte wieder.
    »Was hast du denn da?«
    »Wo, hier? Nichts.«
    »Du singst ja«, sagte sie und zog mich leicht mit sich. Wir
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